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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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geführt hat! Verlasse mein Haus, und zwar für immer!« Als sie sich weigerte, schlug er sie.
    Sie fühlte sich so schuldig, sie war so entsetzt, hatte soviel Mitleid mit dem Kaufmann angesichts seiner Pein, daß sie sich nicht gegen ihn zur Wehr setzte. Erst als er zum drittenmal ausholte, flehte sie: »Schlag mich bitte nicht noch einmal! Ich bin schwanger.«
1215
    Schloß Windsor war ein hübscher Anblick. Es war im letzten Jahrhundert auf einem eichenbestandenen Hügel errichtet worden und thronte nun wie ein Wächter über den grünen Wiesen an der Themse. Von hier aus hatte man einen hervorragenden Blick auf die umliegenden Weiler und die ganze Umgebung. Um den breiten Gipfel über den Bäumen erhoben sich die hohen Zinnen der Burg. Im Gegensatz zu dem eckigen, grimmigen Tower strahlte diese andere, flußaufwärts gelegene große Königsburg etwas Ruhiges, fast Freundliches aus.
    Silversleeves hatte sich nur etwa drei Meilen von der Burg entfernt, als er sich wünschte, dies nicht getan zu haben. Als er an diesem Junimorgen ausgeritten war, hatte die Sonne geschienen, aber jetzt setzte ein heftiger Regen ein. Mit den Regentropfen, die sich an der Spitze seiner großen Nase sammelten, gab er eine traurige Gestalt ab, und dies nicht nur wegen seines Alters. Schließlich zog der mächtige Graf Marshai, einer der größten Beamten des Königreichs, mit über Siebzig noch immer auf seinem Pferd in den Kampf. Aber Silversleeves mit seinen hängenden Schultern und seiner Nase, die im Lauf der Jahre noch länger geworden zu sein schien – und der in seinen fünfzig Jahren am Exchequer niemals befördert worden war –, gab eine ausgezeichnete Zielscheibe für Spott ab. Inzwischen kursierten mehrere lustige Fassungen von der Geschichte, wie er damals von König Heinrich II. aus der Westminsterhalle hinausgejagt worden war. Die Seitenwechsel, die er in letzter Minute vollzogen hatte, waren zu weiteren, hinter vorgehaltener Hand erzählten Legenden geworden. Und wäre da nicht die Tatsache, daß er noch immer sämtliche Exchequer-Rolls auswendig kannte und Rechenaufgaben blitzschnell im Kopf lösen konnte, dann hätte man ihn wohl schon vor vielen Jahren in den Ruhestand versetzt.
    Immerhin konnte er sich damit trösten, daß er wichtig genug war, um zu einer großen Versammlung eingeladen zu werden, die vor drei Tagen auf einer Wiese in der Nähe des Schlosses, die den Namen Runnymede trug, stattgefunden hatte.
    Richard Löwenherz war kein guter König gewesen, dafür hatte er sich viel zu kurz in England aufgehalten. Als er schließlich auf dem Schlachtfeld fiel und sein Bruder Johann ihm nachfolgte, hofften viele, daß alles besser werden würde. Natürlich konnte niemand vorhersehen, welches Unheil Johanns Regentschaft über das Land bringen würde. Er hatte seinen Neffen, den Jungen Arthur aus der Bretagne, ermordet. Dann hatte er auf einer Reihe von schlecht geführten Feldzügen nahezu das gesamte Reich seines Vaters auf der anderen Seite des Kanals verloren. Er schaffte es, sich derart heftig mit dem Papst zu streiten, daß dieser über ganz England ein Interdikt verhängte. Jahrelang gab es keine Messen; nicht einmal eine anständige Beerdigung war möglich. Schließlich stieß er so viele von Englands mächtigen feudalen Familien vor den Kopf, daß eine entschlossene Gruppe sich gegen ihn auflehnte, um ihn zur Vernunft zu bringen.
    Das Ergebnis war die Magna Charta, die Johann vor drei Tagen auf Runnymede mit seinem Siegel hatte bestätigen müssen.
    Eigentlich war es ein konservatives Dokument. Bei den meisten Bedingungen, die es dem König stellte, und den grundlegenden Freiheiten, die es dem Volk versicherte, handelte es sich um die schon lange eingebürgerten Regelungen der feudalen Gesellschaft und des alten englischen Gewohnheitsrechtes. Dennoch gab es einige Verbesserungen: Witwen wie Ida zum Beispiel konnten nicht länger zu einer erneuten Heirat gezwungen werden, und bestimmte Klauseln sollten die Menschen vor einer Gefangenschaft ohne Gerichtsverhandlung schützen. Einige der Punkte waren tatsächlich revolutionär. Die Rebellen hatten durchgesetzt, daß es anstatt des alten Rats der Großen – der Gruppe hoher Adliger, die bislang den König beraten hatten – einen gewählten Rat von fünfundzwanzig Männern geben sollte, dem auch der Erzbischof von Canterbury und der Bürgermeister von London angehören sollten. Dieser Rat sollte sicherstellen, daß der Monarch sich an die Magna Charta hielt.

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