London
Wenn er es nicht tat, konnte der Rat ihn absetzen.
»So etwas hat es noch nie gegeben!« bemerkte Silversleeves zu einem der rebellischen Barone. »Noch nie hat ein Monarch sich so einem Gesetz unterworfen. Damit wäre England ja eine Kommune, und der König wäre nicht mehr als ein Bürgermeister.«
»Ganz recht, mein Lieber«, erwiderte der Edelmann. »Schließlich hat uns London auf diese Idee gebracht.«
Auch London wurde in der Magna Charta erwähnt. Sonderbarerweise hatten die Aldermen nicht auf ihrem Recht bestanden, aus London eine Kommune zu machen, obwohl sie entschlossen waren, sich ihre Privilegien zu erhalten. »Es ist wegen der Steuern«, erklärte Bull Silversleeves. »Eine Kommune wird ja steuermäßig wie ein einziger Baron behandelt. Das hieße natürlich, daß die gewöhnlichen Bürger von den Reichsten von uns erwarten würden, einen größeren Anteil zu zahlen. Wenn aber der König jeden einzelnen Bürger individuell besteuert, dann trifft es uns Aldermen nicht so hart. Also wollen wir die Kommune doch nicht so sehr, wie wir ursprünglich dachten.« Die Stellung des Bürgermeisters war in der Magna Charta auf alle Zeiten gesichert. »Den lassen wir uns nie mehr wegnehmen«, versicherte Bull Silversleeves. Eine weitere kleine Klausel besagte, daß sämtliche Reusen aus der Themse entfernt werden sollten, ebenso wie aus dem Medway und allen anderen Flüssen Englands. Nur der Küstenbereich war davon ausgenommen. So hatte also Alderman Sampson Bull nach mehr als vierzig Jahren den Sieg über den König davongetragen.
Auf der Suche nach Schutz vor dem Regenguß bog Silversleeves auf einen Weg ein, der zu einem Weiler führte, den er bislang noch nie besucht hatte. Er ritt zu einem Bauernhaus und bat um Einlaß. Erst als er langsam wieder trocken wurde, bemerkte er etwas Merkwürdiges an der Bauernfamilie, die ihm zögernd ihre Gastfreundschaft gewährt hatte: Der Vater hatte eine weiße Haarsträhne. Silversleeves hielt sich etwa eine Stunde bei ihnen auf, bis es zu regnen aufhörte. Dann ritt er noch bei dem Verwalter des Anwesens vorbei, zu dem der Weiler gehörte.
Zufrieden lächelnd kehrte Silversleeves spät an diesem Tag nach London zurück.
Das Leben hatte es gut gemeint mit Adam Ducket. Er war jetzt Mitglied der Fischhändlergesellschaft, einer bescheidenen Handwerksgilde, die ihm aber eine achtbare Position sicherte. Zwar hatte es auch in seinem Leben ein trauriges Ereignis gegeben – vor einigen Jahren war seine erste Frau im Kindbett gestorben. Doch sein alter Patron Barnikel hatte eine Tochter, Lucy, im heiratsfähigen Alter, und im Frühling sollte die Hochzeit stattfinden.
An einem trüben Novembernachmittag kam ein Bote mit sonderbaren Nachrichten zu Adam Duckets Haus am Cornhill. Er sollte in zwei Wochen vor dem Hustings erscheinen. »Ich habe doch nichts verbrochen«, sagte er zu dem Boten. »Was soll das also?« Als er es am nächsten Tag im Haus des Bürgermeisters herausfand, wollte er seinen Ohren kaum trauen.
Das alte Hustings-Gericht versammelte sich im allgemeinen immer montags in einer einfachen steinernen Halle in Aldermanbury, einem Bezirk gleich oberhalb des Judenviertels. Neben der Halle befanden sich ein offener Vorplatz und mehrere Höfe. Die Straßen in dieser Gegend beschrieben merkwürdige Kurven. Bis vor einigen Generationen waren an diesem Ort noch die Umrisse eines römischen Amphitheaters zu erkennen, doch inzwischen war es völlig in Vergessenheit geraten. Der Gerichtshof, in dem sich der Bürgermeister und die Aldermen trafen, wurde als Gildenhalle bezeichnet.
In dieser Gildenhalle stand also Adam Ducket an einem kalten Novembermorgen, neben sich Barnikel und Mabel zur Unterstützung, vor dem Bürgermeister und den Aldermen Londons sowie vor seinem Ankläger, Silversleeves.
Die letzten zehn Tage waren wie ein verstörender Traum gewesen. Die Anklage war von einem Mann gekommen, den er kaum kannte, und man warf ihm nicht einmal ein Verbrechen vor. »Sie behaupten, daß ich nicht das bin, was ich zu sein glaube«, sagte er zu Mabel. »Und ich kann es nicht beweisen.«
Er hatte es versucht. Gleich, nachdem er die Beschuldigung erfahren hatte, war er zu dem Weiler in der Nähe von Windsor geritten. Aber zu seiner Verwunderung bestätigten die entfernten Vettern, die er noch nie besucht hatte, und der Verwalter des Feudalherrn seine Schuld. »Wenn nur meine Mutter noch lebte!« jammerte er. »Sie hätte mir vielleicht mehr dazu sagen können.« Aber so
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