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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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wollen Eure Dienste in Anspruch nehmen.« Rowland Bull, Sohn des bescheidenen Brauers Bull aus Southwark, wurde im Zentrum des Königreichs gebraucht. Er war geschmeichelt. Und die Einkünfte – sie waren höher, als er sich hatte träumen lassen. Zwar hegte er Zweifel wegen der Weltlichkeit des Hofes, doch wenn er an seine kleine Familie dachte, schien es ihm, als müsse es Gottes Wille sein. Er wandte sich an seinen Schwager. »Das alles verdanke ich dir.«
    Es war schwer, Thomas Meredith nicht zu mögen. Schlank und attraktiv, in Haarfarbe und Teint seiner Schwester sehr ähnlich, war er die weltliche Hoffnung der Familie. Die Merediths waren Waliser und wie andere Waliser Familien mit den Tudors nach England gekommen. Thomas' Großvater hatte bei Bosworth gekämpft, und sein Vater hätte am Hofe aufsteigen können, wäre er nicht gestorben, als Thomas und Susan noch Kinder waren. König Heinrich hatte dann dem jungen Thomas einen Posten bei dem mächtigen königlichen Minister Thomas Cromwell gegeben, und dort arbeitete er mit großem Erfolg. Er hatte in Cambridge und an den Inns of Court studiert, er sang und tanzte gut, er focht und schoß mit dem Bogen, er spielte sogar mit dem Herrscher das königliche Spiel Tennis. Mit seinen sechsundzwanzig Jahren war er ganz und gar bezaubernd.
    Wenn Rowland Bull die Einflüsse zusammenfassen wollte, die ihn so weit gebracht hatten, fiel ihm das nicht schwer: Bücher und die Merediths. Die Bücher waren leicht zu erklären. Ein Mitglied der Mercer-Gilde namens Caxton hatte aus Flandern die ersten Druckerpressen nach England gebracht und eine Werkstatt in Westminster eröffnet, kurz vor dem Ende der Rosenkriege. Bald erschien eine Flut gedruckter Bücher. Anstelle von Buchmalereien zierten Caxtons Bücher oft lebendige schwarzweiße Holzschnitte, und im Vergleich zu den alten handgeschriebenen Manuskripten waren sie billig. Rowland hatte sich in Chaucer, in die Geschichten um König Artus und eine Reihe von Predigten und religiösen Flugschriften vergraben. Diese Liebe zu Büchern war es, die ihn von der Brauerei wegführte, zu einem armen Gelehrten in Oxford machte und ihn schließlich die Rechte studieren ließ. Und es waren auch die Bücher, die ihn als jungen Mann ein Leben als Ordensmann in Erwägung ziehen ließen.
    Alles übrige hatten die Merediths bewirkt. Es war Peter, der Mann, den er mehr als alle anderen respektierte, der ihm sagte: »Es gibt auch andere Arten, Gott zu dienen, als im heiligen Orden.« Als Rowland befürchtete, er könne das religiöse Gelübde der Keuschheit nicht einhalten, hatte Peter lächelnd bemerkt: »Wie der Apostel Paulus sagt: ›Es ist besser zu heiraten, als sich in Begierde zu verzehren.‹« Durch Peter hatte er Susan gefunden, und mit ihr ein Glück, das er nie für sich zu erhoffen gewagt hatte. Und wenn er sich hin und wieder noch nach einem Ordensleben sehnte, so war dies das einzige Geheimnis, das er vor seiner Frau hatte. Und heute schuldete er Thomas Meredith seinen Dank.
    An diesem Augustnachmittag gab es bedeutendere Neuigkeiten, die tuschelnd im Palast verbreitet wurden. Als sie durch einen massiven Torbogen aus dem Hof schritten, stupste Thomas seinen Schwager. »Sieh nach oben«, bemerkte er mit einem Grinsen.
    Der Bogen war prächtig. Obwohl die Rosenkriege das vorherige Jahrhundert verfinstert hatten, konnte sich eine prachtvolle Architektur entwickeln – die Spätgotik feierte in England ihren Höhepunkt. Die Reihen von Spitzbogen wichen einem klaren Gefüge einfacher, eleganter Pfeiler, die nicht mehr Mauern, sondern hohe Glaswände umschlossen; die Decke, nun fast flach, erstreckte sich in einem anmutigen Fächergewölbe, einem filigranen Spitzengewebe aus Stein. In den Kapellen von Windsor oder im King's College in Cambridge konnte man die herrlichsten Beispiele dieser Architektur bewundern.
    Auch der Torbogen, durch den sie schritten, hatte ein Fächergewölbe, und zwischen diesem feingliedrigen Maßwerk sahen Thomas und Rowland die liebevoll ineinander verschlungenen Initialen, die England in diesem Sommer Hoffnung bringen sollten: H&A. Heinrich und Anna. Anna Boleyn.
    Als Heinrich nach zwei Jahrzehnten liebevoller Ehe mit der Spanierin Katharina von Aragon außer der kränkelnden Tochter Maria immer noch keinen legitimen Erben hatte, machte er sich verständlicherweise Sorgen. Was sollte aus der Dynastie der Tudors werden? Noch nie hatte eine Frau England regiert – würde sich das Land nicht in Chaos

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