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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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größer wurden – im dichtbesiedelten London der Tudorzeit rafften Alter und Krankheit immer noch mehr Menschen dahin, als neue geboren wurden –, sondern weil ein Strom von Zuwanderern aus ganz England und vom Festland kam, vor allem aus den Niederlanden, wo Protestanten vor den Verfolgungen der katholischen Spanier flohen. Am Ende der Rosenkriege hatte London etwa fünfzigtausend Seelen gezählt; in Elisabeths letzten Regierungsjahren waren es viermal soviel.
    Und im geschäftigen London begann die erste und größte Blütezeit des englischen Theaters. Weniger bekannt ist jedoch, daß es mit dem englischen Theater in den letzten Jahren Elisabeths, als William Shakespeare erst die Hälfte seiner Stücke geschrieben hatte, fast zu Ende gegangen wäre.
    1597
    Zuerst hatte an diesem Frühlingsnachmittag ein Hahnenkampf stattgefunden, und nun veranstaltete man eine Bärenhatz. Das kreisförmige Parterre des Curtain, wie man dieses Schauspielhaus nannte, aus dem man vorübergehend die Bühne entfernt hatte, maß im Durchmesser etwa fünfzehn Meter und war umschlossen von zwei übereinanderliegenden hohen Galerien aus Holz. Der Bär war an einem Pfosten in der Mitte des Theatergrabens mit einer Kette angebunden, die lang genug war, daß er sich gegen die Barrieren werfen konnte, mit denen die Zuschauergalerien abgetrennt waren. Der Bär hatte bereits zwei der drei Bulldoggen getötet, die man auf ihn gehetzt hatte, ihre Kadaver lagen zerstampft und blutig im Staub. Der dritte Hund kämpfte mit ungeheurer Energie und wollte nicht aufgeben. Wieder und wieder griff er an, biß das Hinterteil des Bären blutig und versetzte das Tier in rasenden Zorn. Die Menge tobte. Bären unterlagen bei diesen Kämpfen selten, doch die mutigsten Hunde wurden oft gerettet, damit sie an einem anderen Tag noch einmal eingesetzt werden konnten. Als die Bulldogge zurückgepfiffen wurde, brachen die Zuschauer in Beifallsrufe aus.
    »Prima gekämpft! Tapferer Hund!« Kaum jemand schrie begeisterter als der gutaussehende junge Mann mit dem kastanienbraunen Haar, der auf der Galerie saß, umringt von einer Gruppe von Freunden, bei denen er deutlich den Ton angab. Offensichtlich war er einer der jungen Stutzer der Stadt. Sein Wams war reich bestickt und der Mode gemäß über dem Bauch zu einer Wölbung versteift, dem sogenannten Gänsebauch. Zwar bevorzugten manche junge Männer noch die Beinlinge im Stil des Mittelalters, doch er trug bereits den neuesten Stil: wollene Strumpfhosen und darüber die bauschigen kurzen Pluderhosen, gefertigt aus demselben Stoff wie das Wams, die man am Knie mit Bändern befestigte. Dazu trug er bestickte Schuhe, geschützt von Überschuhen, die sie vor Schmutz bewahrten, und eine gestärkte weite Halskrause. Über die Schultern hatte er sich einen kurzen Umhang geworfen. Diese Mode, der Form der spanischen Rüstung nachempfunden, ließ ihn elegant und männlich aussehen.
    Von der Taille hing ein Rapier mit goldverziertem Knauf, dahinter ein passender Degen; er trug Lederhandschuhe und im rechten Ohr einen goldenen Ring. Seine Kopfbedeckung war ein hoher Hut mit Krempe, besetzt mit drei prachtvollen Federn. Mit dieser Kleidung putzte sich in jenen Jahren ein Mann heraus, der auf der Bühne des Lebens Unsterblichkeit erlangen wollte. Noch ein Requisit gab es, um das Kostüm zu vervollständigen. Mit gesuchter Nonchalance hielt Edmund Meredith in der rechten Hand eine lange, gebogene Tonpfeife.
    Ein paar Jahre zuvor hatte der Günstling der Königin, Walter Raleigh, von den Indianern Amerikas den Gebrauch der Tabakspflanze gelernt und den Tabak nach England gebracht. Bald war der teure Tabak aus Virginia bei den modischen Kavalieren der letzte Schrei. Edmund Meredith mochte den Geschmack der Pfeife nicht besonders, aber in der Öffentlichkeit hatte er stets eine bei sich, um den Geruch der einfachen Leute, »der Knoblauch- und Zwiebelfresser«, wie er sie nannte, von seiner Nase fernzuhalten.
    Während der Pause, bevor ein paar Kampfhähne in den Theatergraben gebracht wurden, lächelte Edmund Meredith seine Freunde an. »Shakespeare gibt auf. Ich werde an seine Stelle treten«, brüstete er sich. Rose und Sterne, junge Kavaliere wie er, applaudierten. William Bull fragte sich, ob er sein Geld zurückbekommen würde, während Cuthbert Carpenter zitterte, weil er zur Hölle verdammt war. Jane Fleming fragte sich, ob Edmund sie heiraten würde. Und John Dogget grinste, weil er keinerlei Sorgen hatte.
    Edmund Meredith

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