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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Susan Brown eine fromme Witwe gewesen war, bevor sie wieder heiratete, und es hieß, ihr neuer Ehemann, Robert Brown, sei früher Mönch gewesen. Er war ein stiller Mann, seiner Frau und seinen Stiefkindern ergeben. Er wurde Lehrer an Rochesters alter Schule und schien glücklich mit seiner Arbeit und seiner Familie. Als er zehn Jahre nach seiner Ankunft in Rochester starb, war seine Frau so aus dem Gleichgewicht, daß der Priester hörte, wie sie ihn leise »Rowland« rief. Aber der Priester wußte, daß die Menschen im Kummer manchmal verwirrt waren.
    In den folgenden Jahrzehnten lebte die Familie so unauffällig wir möglich. Die Mädchen heirateten; Jonathan wurde Lehrer. Insgeheim war ihr Glaube katholisch, aber nach allem, was geschehen war, hatte Susan ihnen geraten: »Was immer geschieht, behaltet eure Ansicht für euch. Seid still.«
    Die letzten Jahre unter König Heinrich waren schlimm. Er wurde aufgedunsen und krank. Das Vermögen, das er der Kirche geraubt hatte, wurde für extravagante Paläste und sinnlose Abenteuer im Ausland verschwendet, mit denen er seine Ruhmsucht befriedigte. Frauen kamen und gingen. Selbst der raffinierte Cromwell fiel in Ungnade und wurde geköpft.
    Schließlich war es dem König geglückt, mit der dritten seiner sechs Ehefrauen einen Erben zu zeugen. Der Junge Eduard war ein glänzender Kopf, aber kränklich, und bald war es klar, daß seine Erzieher, Cranmer und seine Leute, nach König Heinrichs Tod die Absicht hatten, den Kindkönig noch weiter vom katholischen Glauben zu entfernen. Doch selbst Susan war erstaunt, als sie feststellte, wie weit sie gehen wollten.
    »Cranmers englisches Gebetbuch«, sagte sie zu ihrer Familie, »muß gar nicht so schlecht gewesen sein. Immerhin ist es größtenteils eine Übersetzung des lateinischen Ritus, und er hat eine schöne Sprache.« Die Lehren, die die Kirche Englands nun annahm, waren nicht länger nur die der Reformer, sondern ganz und gar protestantisch. »Das Wunder der Messe wird völlig abgeleugnet«, rief Susan. Priester durften heiraten. Aber noch schrecklicher waren in gewisser Weise die materiellen Zerstörungen, die die Protestanten forderten. Susan sah es eines Tages, als sie bei einem Besuch in London in Peters Kirche St. Lawrence-Silversleeves schlüpfte.
    Man hatte die kleine Kirche ausgeräumt. Der dunkle alte Lettner, den ihr Bruder geliebt hatte, war fort, man hatte ihn verbrannt. Die Wände waren weiß getüncht; den Altar hatte man durch einen einfachen Tisch ersetzt. Selbst die neuen Buntglasfenster hatte man zerschlagen. Susan wußte, daß diese Verwüstungen überall passiert waren, doch hier in der Kirche ihres Bruders tat es ihr besonders weh.
    Als der protestantische Kindkönig starb und seine Schwester Maria den Thron bestieg, jubelte Susan nicht voreilig. Sicher war Maria als Tochter der spanischen Königin Katharina eine fromme Katholikin und schwor, England zurück in die wahre Kirche Roms zu führen. »Doch sie hat ein halsstarriges Naturell«, urteilte Susan, »und ich fürchte, sie wird diese Sache falsch in Angriff nehmen.« Und genau das stellte sich heraus. Trotz der Proteste ihres Volks bestand sie darauf, König Philip von Spanien zu heiraten. Nach Ansicht vieler Engländer bedeutete Katholizismus von nun an nicht nur dem Papst, sondern auch einem ausländischen König unterworfen zu sein. Dann verbrannte man Protestanten; alle Führer der Reformer wurden verurteilt. Als man Cranmer verbrannte, tat er Susan leid; als der grausame Latimer den Scheiterhaufen bestieg, zuckte sie nur mit den Achseln. Bald nannten die Engländer ihre Königin »Blutige Maria«, und als sie nach fünf unglücklichen Jahren kinderlos starb, war Englands Religion immer noch eine offene Frage.
    Nur noch eines von Heinrichs Kindern blieb übrig, Elisabeth, Tochter Anna Boleyns, und Susan war sicher, daß sie England nicht zu Rom zurückbringen konnte. Denn wenn der Papst in Rom das wahre Oberhaupt war, mußte die Heirat ihrer Mutter mit Heinrich ungültig gewesen sein. Sie selbst konnte dann nicht Englands legitime Thronfolgerin sein. Die Regelung von Glaubensfragen, die Elisabeth ausarbeitete, war daher vollkommen logisch. Die Frage der Messe wurde in so dunklen Formen beschrieben, daß man sie nach jeder Richtung interpretieren konnte; ein gewisses Maß religiöser Zeremonie wurde beibehalten. Die Autorität des Papstes wurde geleugnet, doch Elisabeth nannte sich taktvoll Oberste Leiterin der Kirche Englands, nicht

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