London
Höchstes Oberhaupt. Den Katholiken konnte sie daher sagen: »Ich habe euch einen reformierten Katholizismus gegeben«, den Protestanten: »Der Papst wird nicht anerkannt.«
Damit zeigte Elisabeth Weisheit. Als sich ganz Europa in zwei riesige und zunehmend feindliche religiöse Lager spaltete, war die Position der englischen Königin nicht einfach. Während sie die katholischen Großmächte hinhielt und sogar Andeutungen machte, sie könne einen ihrer Fürsten heiraten und England zurück zu Rom bringen, sah sie sich in London und den anderen Städten einem zunehmend protestantischen Volk gegenüber, denn den Kaufleuten und Handwerkern, denen man nun einmal ihre englische Bibel und das Allgemeine Gebetbuch gegeben hatte, gefiel es, selbst zu denken. Zudem waren ihre Handelspartner in den Niederlanden, in Deutschland und sogar in Frankreich häufig ebenfalls Protestanten. Nach und nach gewannen die extremeren Formen des Protestantismus an Boden; Puritaner nannten sich diese Leute. Selbst wenn Elisabeth die Protestanten gehaßt hätte – dabei sympathisierte sie heimlich mit ihnen –, hätte sie diese Entwicklung nicht ohne Tyrannei und Blutvergießen aufhalten können.
So führten sie und ihr weiser Minister, der große Cecil, einen englischen Kompromiß ein. »Wir wollen nicht in die Herzen der Menschen sehen«, sagten sie. »Doch eine äußerliche Anpassung müssen wir fordern.« Das war eine humane und notwendige Politik. Als der Papst in Rom die Geduld mit der englischen Königin verlor und mit Exkommunikation drohte, wenn sie ihr Reich nicht in den Schoß der Kirche zurückführte, ertappte Susan sich dabei, wie sie ärgerlich sagte: »Ich wünschte, das ließe er sein.«
Nur eine Sache entlockte ihr einen Wutschrei – die Veröffentlichung eines dicken Buches im Jahre 1563, bekannt als das Buch der Märtyrer von John Fox. Sorgfältig geschrieben, um jedermanns Mitleid und Zorn zu erregen, schilderte es detailliert die Märtyrer Englands – wobei die Protestanten gemeint waren, die unter der Blutigen Maria umgekommen waren. Über die Katholiken, die vorher den Märtyrertod gestorben waren, verlor es kein Wort. Daß manche dieser Protestanten, wie etwa Latimer, Menschen verbrannt und gefoltert hatten, ließ man unter den Tisch fallen. Das Buch war ein immenser Verkaufserfolg, und bald schien es, als habe es nur die Protestantenverfolgungen der Katholiken gegeben.
»Das ist eine Lüge«, protestierte Susan. »Und ich fürchte, sie wird fortbestehen.« In der Tat kam es so. Das Buch der Märtyrer war dazu bestimmt, in den Familien gelesen zu werden, die Kinder zu warnen, und sollte über Generationen hinweg bestimmen, wie das englische Volk die katholische Kirche wahrnahm.
Doch Susan war entschlossen, in Frieden zu leben. Und Frieden war ihr auch beschieden, abgesehen von einer kleineren Störung. Spät im Leben nahm ihr Bruder Thomas nach einer langen Laufbahn bei Hofe, wo er niemals wirklich aufgestiegen war, eine Frau. Sie entstammte einer guten Familie und hatte ein wenig Vermögen, doch irgendein kleiner Charaktermakel, wie Susan argwöhnte, hatte sie am Heiraten gehindert. Sie schenkte Thomas einen Sohn, dann starb sie. Nicht lange danach erhielt Susan einen Brief von ihrem Bruder, der ihr mitteilte, auch er werde nicht mehr lange unter den Lebenden weilen und wolle seinen kleinen Sohn und Erben nach Rochester schicken, »wo ich weiß, daß Jonathan und du für ihn sorgen werdet«.
Und so hatte Susan in den letzten Jahren ihres Lebens eine neue Verantwortung, einen hübschen kleinen Kerl mit kastanienbraunem Haar und großem Charme, wie sie zugeben mußte. Er hieß Edmund. Doch manchmal fragte sie sich, ob er nicht ein wenig zu wild war.
DAS GLOBE THEATRE
DIE LANGEN JAHRE unter Königin Elisabeth I. wurden in der Erinnerung zu einem goldenen Zeitalter, doch für die Londoner, die zu dieser Zeit lebten, gestalteten sie sich durchaus unterschiedlich. Wichtig war zunächst, daß meist Frieden herrschte. Elisabeth war von Natur aus vorsichtig, und aufgrund der Verschwendungssucht ihres Vaters konnte sie es sich kaum leisten, Krieg zu führen. Es herrschte bescheidener Wohlstand. Die Menschen, auch jene, die in Städten lebten, waren immer noch von der Ernte abhängig, und unter Elisabeth waren die Ernteerträge zumeist gut. Es mangelte auch nicht an Unternehmungslust. Obwohl Columbus bereits vor siebzig Jahren Amerika entdeckt hatte, begannen englische Abenteurer wie Francis Drake und Walter Raleigh
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