London
mit seinem ständigen öffentlichen Prunk, seinen Reisen durch die Grafschaften und seinen ausgeklügelten, inszenierten Empfängen für Ausländer eines der raffiniertesten Theaterspiele, die man je ersonnen hatte. Und im Mittelpunkt der Bühne stand Elisabeth, prachtvoll in perlenbesetzten Brokat gekleidet, eine riesige Spitzenkrause um Hals und Kopf, das rotgoldene Haar hochgesteckt oder offen wallend – die Tochter König Heinrichs und doch auch aus ihrem Volk geboren, die Renaissancefürstin und jungfräuliche Königin, deren strahlender Glanz jedem Engländer wie ein Fixstern leuchtete.
Viele Jahre lang war diese Rolle der jungfräulichen Königin sehr nützlich gewesen. Bedroht von den gefährlichen europäischen Mächten, hatte sie ihr kleines Königreich geschützt, indem sie immer wieder andeutete, den einen oder anderen Herrscher zu heiraten. Ihre Favoriten am Hof, Männer wie Leicester oder Essex, gaben vor, sie zu lieben, und sie gab vor, ihnen zu glauben. Zweifellos traf das manchmal zu, denn Elisabeth war auch eine Frau. Aber wer kann sagen, was Theater und was Wirklichkeit ist, wenn es um Staatskunst geht? Das eine ist der Spiegel des anderen. Und so spielte die gealterte Elisabeth, bedroht vom Parlament, das wissen wollte, wer ihr Nachfolger sein würde, immer noch die jungfräuliche Königin – das Gesicht geschminkt, das Haar gefärbt, umringt von Kavalieren, die ihren welken Herbst wie einen Frühling erscheinen ließen.
Edmunds Brief war ein vollendetes Kunstwerk; in der Tat das Beste, was er je geschrieben hatte. Seine Worte, mit denen er sich an die Königin wandte, waren die eines namenlosen Verehrers – inspiriert durch sie habe er ein Stück geschrieben, das sie vielleicht ergötzen würde. Doch nun, gänzlich niedergeschlagen, erfahre er, alle künftigen Stücke sollten in Dunkelheit begraben liegen, nie erhellt durch den Glanz ihrer Augen. Als sei Elisabeth ein junges Mädchen und sie beide ein heimliches Liebespaar, beendete Edmund den Brief mit dem Vorschlag, wenn irgendeine Hoffnung für ihn bestehe, solle sie zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort, wo er sie deutlich sehen konnte, ihr Taschentuch fallen lassen. Dinge dieser Art liebte sie.
Es war bereits dunkel, aber Jane war vorsichtig, als sie über den Charing Cross ging. Eine Menge Leute war unterwegs, und das Paar vor ihr bemerkte nichts von ihrer Gegenwart.
Der große Palast von Whitehall bestand aus einer Reihe schöner Höfe, die von Ziegel- und Steingebäuden umgeben waren. Auch umfriedete Gärten gehörten dazu, ein Turnierplatz, eine Kapelle, ein großer Saal und ein Ratszimmer, zudem einige Gebäude, die für Besucher vom schottischen Hof reserviert waren, allgemein Scotland Yard genannt. Die Palastanlage war zum größten Teil der Öffentlichkeit zugänglich, und da ihre Tore sich entlang der Straße von Charing Cross bis Westminster erstreckten, strömten hier ohne Unterlaß Menschen hindurch. Die Königin gestattete es ihren Untertanen, den Hof bis zu den Stufen am Fluß zu überqueren, wenn sie eine Barke besteigen wollten, und sie konnten sogar kommen, um von einer Galerie aus die Staatsbankette zu beobachten. Zu manchen Zeiten konnten sie auch einfach herumstehen, in der Hoffnung, sie zu sehen.
Edmund und Lady Redlynch schritten durch das Tor in den Palasthof, Jane folgte ihnen. Mehrere Dutzend Menschen standen im Hof, manche von ihnen trugen Fackeln. Trotz der Kälte war der November gewöhnlich eine fröhliche Zeit bei Hofe, denn Mitte des Monats, zum Jubiläum der Thronbesteigung Elisabeths, fanden in Whitehall ein großer Umzug und ein Turnier statt. Die Menge war froh gelaunt, und Edmund wartete aufgeregt.
Die Minuten verstrichen. Dann öffneten sich die Türen eines Ratszimmers. Sechs Gentlemen in prachtvollen Gewändern, die Hände auf juwelenbesetzten Degen, traten heraus. Ihnen folgten Pagen mit Fackeln. Schließlich kamen sechs weitere Gentlemen, die eine Sänfte trugen, in der, gekleidet in ein üppiges, juwelenbesetztes Gewand, mit einer riesigen Halskrause aus Spitze, die Königin saß. Hochrufe wurden laut. Langsam und steif, das bemalte Gesicht wie eine Maske, wandte sie sich um und schien zu lächeln. Mein Gott, dachte Edmund, dem sein vielleicht zu amouröser Brief einfiel, ist sie so gebrechlich geworden? Einen Augenblick später jedoch erklang ihre klare Stimme über den Hof – als Antwort auf den üblichen Ruf »Gott schütze Ihre Majestät«: »Gott segne dich, mein gutes Volk.
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