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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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eine riesige Fläche freigeräumt, auf der Jugendliche und Kinder Schlittschuh liefen oder herumrutschten. Obwohl Puritaner, hatte Alderman Ducket nichts gegen diesen harmlosen Zeitvertreib einzuwenden. Doch dann runzelte er die Stirn. Wo zum Teufel waren die Wagen? Mittlerweile hätten sie hiersein müssen. Hatte irgendein Narr sie am Tor aufgehalten? Dann blickte er flußabwärts.
    Die zehn Wagen waren nun alle auf dem Eis. Obwohl sie mehrere hundert Meter hinter dem Tower waren, konnte er Meredith auf dem ersten Wagen sehen. Eine ganze Weile lang beobachtete er sie sprachlos. Die Wagen fuhren zu John Doggets Boots Werkstatt, wo das Holz gelagert werden sollte. Von der Brücke aus sah der Alderman hilflos zu, wie sie abgeladen wurden.
1599
    Am 21. Februar 1599 wurde in der Stadt London ein Dokument unterzeichnet, das durch einen Glücksfall erhalten geblieben ist. Es war ein einfacher Pachtvertrag mit einem gewissen Nicholas Brend, Eigentümer eines Grundstücks an der Bankside, der das Recht erteilte, dort ein Schauspielhaus zu errichten und zu betreiben. Das Dokument war in einem Punkt ungewöhnlich: Der Pächter war keine einzelne Partei, sondern eine Gruppe von Leuten, und der Vertrag legte sorgfältig fest, welchen Anteil jeder besitzen sollte. Eine Hälfte wurde zwischen den Brüdern Burbage aufgeteilt, die andere Hälfte fiel zu gleichen Teilen an fünf Mitglieder der Chamberlain's Men, darunter William Shakespeare. Das neue Theater wurde von einer Gesellschaft besessen und betrieben. Da der Begriff »Aktionär« noch nicht geprägt war, nannte man Shakespeare und die übrigen Investoren »die Inhaber«. Das Theater erhielt einen neuen Namen: Man entschied sich für Globe.
    Das Globe Theatre war ein schönes Gebäude. Ein riesiger offener Hof mit einem äußeren Durchmesser von über fünfundzwanzig Metern, der nicht rund war, sondern wie die anderen Schauspielhäuser vieleckig, mit zwanzig Seiten, umschloß ein geräumiges Parterre, umgeben von drei Reihen von Galerien. Die große Bühne hatte im Hintergrund eine gerade Wand mit zwei Türen, eine links, eine rechts, durch die die Schauspieler auftraten und abgingen; dahinter lag die Garderobe. Über der Garderobe erstreckte sich eine Galerie für Spielmänner, bekannt auch als der Lords' Room, der Platz der Herren. Wenn man während der Vorstellung keine Musik brauchte, saßen vornehme Besucher gerne dort oben, so daß sie sowohl das Stück sehen als auch selbst vom Publikum bewundert werden konnten.
    Hoch über dem hinteren Teil der Bühne gab es einen Baldachin aus Holz, gestützt von zwei dicken Pfeilern an den vorderen Ecken, dessen Plafond, der mit Sternen bemalt war, als »Himmel« bekannt wurde. Dort war ein spezieller Flaschenzug mit Gurt installiert, den man benutzte, wenn einer der Schauspieler über die Bühne fliegen mußte. Über dem Dach hinter der Bühne erhob sich ein Turm, von dem aus an Spieltagen ein Trompeter ganz London mitteilte, daß bald eine Vorstellung begann.
    Den ganzen März, April und bis in den Mai hinein arbeitete Cuthbert Carpenter an dem neuen Globe Theatre, bis schließlich das große Strohdach fertig war und die Maler beginnen konnten, die Außenmauern mit vorgetäuschten Fenstern und klassischen Giebeln und Nischen zu verzieren, so daß es wie ein strahlendes kleines Abbild eines römischen Amphitheaters aussah. Und manchmal, wenn er seine Großmutter besuchte und sie ihn barsch fragte, wo er gewesen sei, verwirrte er sie mit der Antwort: »Heute war ich im Lord's Room, dem Raum Unseres Herrn. Und ich glaube, Großmutter, ich habe auch den Himmel gesehen.«
    Während das Globe sich der Fertigstellung näherte, wurde die gesamte Truppe von zunehmender Aufregung ergriffen. Wie erwartet, hatte Giles Allen ein Verfahren gegen den Abbau des Gebäudes eingeleitet, doch das hatte nur das Interesse der Bevölkerung gesteigert. Jeder Theaterliebhaber Londons sah entzückt zu, wie die Chamberlain's Men die sauertöpfischen Aldermen zum Narren hielten, und es hieß sogar, der Hof sei höchst amüsiert.
    Die Truppe hatte das Gebäude und seine Lage gut gewählt; der einzige denkbare Nachteil war der Zugang. Um das Globe zu Fuß zu erreichen, mußte man, wenn man nicht in Southwark wohnte, über die London Bridge gehen. Für alle, die aus dem östlichen Teil der Stadt kamen, war das ohnehin der direkte Weg, doch für Besucher aus dem Westteil oder der Gegend der Inns of Court bedeutete das entweder einen ermüdenden Umweg über die

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