London
Brücke oder die Kosten für eine Fähre – und selbst eine Gruppe von acht Leuten mußte immer noch Sixpence für ein Boot bezahlen, das groß genug war, um sie alle zu befördern. »Womöglich verlieren wir deshalb manche der jungen Rechtsgelehrten als Zuschauer«, bemerkte Fleming zu Jane, doch da so vieles andere arrangiert werden mußte, hatte niemand Zeit, sich um diesen unbedeutenden Punkt zu kümmern.
Für die Flemings bedeutete diese neue Situation, daß sie umziehen mußten, und im April begann Janes Vater mit mehreren Vermietern zu verhandeln, um sich eine passende Unterkunft in der Nähe des Globe zu sichern. Eines Nachmittags Anfang Mai, auf dem Weg zurück von der Besichtigung eines kleinen Hauses, an dem ihr Vater interessiert war, traf Jane John Dogget, und da beide gerade nichts Dringendes zu tun hatten, gingen sie zusammen ins »George Inn«.
Obwohl sie sich seit dem Herbst nicht mehr oft gesehen hatten, genoß er es anscheinend sehr, mit ihr zusammen zu sein. »Dann werdet ihr in unserer Nähe wohnen. Ich freue mich sehr«, erklärte er, als sie ihm vom bevorstehenden Umzug ihrer Familie nach Southwark erzählte. Und ihr wurde bewußt, daß sie sich ebenfalls freute. Während sie über das neue Theater sprachen, erwähnte sie auch das Problem der teuren Überfahrt mit der Fähre, worauf Dogget über das ganze Gesicht zu strahlen begann. »Komm mit. Ich muß dir etwas zeigen.«
Die Sonne war schon am Sinken, als sie die Werkstatt der Doggets erreichten. Erstaunt sah Jane zu, wie John Bretter und Planken beiseite zog. Er zündete zwei Lampen an. »Dreh dich um«, befahl er. Sie hörte, wie er Tücher von irgend etwas herunterzog. »Jetzt kannst du schauen«, erklärte er dann. Und zu ihrem Erstaunen erblickte sie Doggets geheimen Schatz, die lange, glänzende, wunderbar vergoldete Barke. Endlich hatte er etwas gefunden, das ihrer würdig war. »Wir könnten sie einsetzen, um Zuschauer zum Globe überzusetzen«, meinte er.
Das Stück war fertig. Shakespeares Kaufmann von Venedig hatte ihm die Idee eingegeben. Ein Bösewicht versucht, eine große Missetat zu begehen, doch die Mächte des Guten siegen. Einfach genug. Edmund hatte an dem Stück vor allem beeindruckt, daß der Schurke ein Ausgestoßener war, eine aufsehenerregende Persönlichkeit. Das war es, was er brauchte: einen Schurken, der ungewöhnlich war, bedrohlich nicht nur aufgrund dessen, was er tat, sondern aufgrund dessen, was er war. Aber was? Ein Jesuitenpater? Ein Spanier? Zu durchsichtig. Er hatte sich das Hirn zermartert, und plötzlich hatte er sich an den seltsamen Kerl erinnert, der ihn vor zwei Jahren bei der Bärengrube bedroht hatte: der Finstere Barnikel, der Mohrenpirat. Was konnte fremder, bedrohlicher sein? Das Publikum würde die Augen nicht von ihm abwenden können.
Er gestaltete den Mohren abscheulich, häßlich. Schrecklich wie Tamerlan, listig wir Mephisto. Nicht einen versöhnlichen Zug wies er auf. Und zum Schluß, in den eigenen Schlingen gefangen, wurde er vor den Richter gebracht und zur Hinrichtung geführt, nachdem er sich auch noch als Feigling erwiesen hatte. Als Meredith schließlich die Feder niederlegte, war er sicher, daß er nun in der Welt etwas darstellen würde.
An diesem Nachmittag beschloß er auszugehen, und er entschloß sich noch zu etwas anderem, das er lange nicht getan hatte. Er zog seine Pluderhose an, legte eine weiße Halskrause um und setzte den Hut mit den wippenden Federn auf.
Es war bereits dämmrig, als Edmund und die Lady die Brücke überquerten. Zwei Diener trugen sie in einer überdachten Sänfte, und Edmund schritt nebenher, ritterlich eine Lampe tragend. Sie hatten sich bei einem Schauspiel der Admiral's Men getroffen und dann zusammen mit einigen anderen aus der vornehmen Gesellschaft in einem Gasthaus zu Abend gespeist. Bis zu diesem Tag hatte Edmund seine Begleiterin nur flüchtig als Freundin Lady Redlynchs gekannt, doch sie erinnerte sich wohl noch an ihn, da sie sich auf der Theatergalerie an ihn gewandt und schalkhaft bemerkt hatte: »Ich sehe, Master Meredith, daß Ihr Euch wieder als Gentleman gekleidet habt.« Was auch immer sie von Lady Redlynch gehört haben mochte, es war offenkundig genügend, daß sie ihn an diesem Abend zu verstehen gab, sein Platz sei an ihrer Seite.
Sie waren gerade einen Augenblick stehengeblieben, ein paar hundert Meter nördlich der Brücke, als John Dogget und Jane von der Bootswerkstatt zurückkamen. Es war kein Irrtum möglich.
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