London
spürte, wie er bleich wurde, und vor Verlegenheit bebend blickte er hastig auf die Rolle. Wie konnte er die Zeilen vergessen haben? Ein Hauch von Unruhe schien das Publikum nach diesem Patzer zu ergreifen, doch der Rest der ersten Szene verlief ohne Zwischenfall.
Das seltsame Gemurmel begann in der letzten Minute der Szene. Der Mohr hielt seinen ersten langen Monolog auf dem Mittelpunkt der Bühne. Er ließ das Blut in den Adern erstarren, und Edmund war stolz darauf. Aber gerade bevor er zum Höhepunkt seiner Rede kam, schien etwas anderes die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen. Edmund sah ein oder zwei Hände irgendwo hindeuten, und manche Zuschauer stießen sich gegenseitig an. Nach dem Ende des Monologs herrschte nicht ehrfürchtiges Schweigen, sondern es wurde noch mehr geflüstert und gezeigt.
Zu Beginn des Stücks hatten sich keine Zuschauer im Lords' Room befunden. Aber nun hatte ihn eine Person betreten, sich genau in die Mitte gesetzt und sich dann über die Brüstung gebeugt, um besser zu sehen. Kein Wunder, daß das Publikum geflüstert und mit Fingern gezeigt hatte – das Gesicht war schwarz, wie das des Mohren.
»Er ist es, ich bin ganz sicher.« Jane war hinausgetreten, um den schwarzen Fremdling von der Galerie aus zu betrachten. »Er hat blaue Augen.«
Zwischen den einzelnen Akten gab es selten Pausen. Der zweite hatte bereits begonnen, und Edmund mußte schon nach kurzer Zeit weiterspielen. Beide erinnerten sich nur zu gut an das Gespräch mit dem Mohren. Würde er erraten, daß er ihn zu dem Stück inspiriert hatte? Aber natürlich.
»Wie wirkt er?« fragte Edmund nervös.
»Er starrt einfach nur. Beachte ihn gar nicht«, riet Jane.
Eine Minute später stand Edmund wieder vor dem Publikum und spielte seine Rolle ohne Panne. Das erste große Verbrechen des Finsteren Mohren – Diebstahl und Vergewaltigung – entfaltete sich auf der Bühne, und die Zuschauer verfolgten erwartungsvoll die Handlung. Warum aber fühlte er sich gegen Ende des zweiten Aktes so unbehaglich? Die Handlung war aufwühlend; Charakter und Taten des Finsteren Mohren waren grauenerregend. Doch im Lauf des Spiels hatte er immer stärker den Eindruck, daß sein Stück platt war. Der dritte Akt begann. Die Missetaten des schwarzen Piraten stiegen zu neuen Höhen, und ebenso seine Sprache. Doch die tönenden Deklamationen, an denen Edmund so liebevoll gefeilt hatte, erschienen ihm nun bombastisch und leer, und er bemerkte, daß auch das Publikum unruhig wurde. Hier und da hörte man gemurmelte Unterhaltungen. Das Stück hatte keinen Kern, keine Seele.
Jane sah von der Galerie aus zu, aber ihre Aufmerksamkeit wurde von der Bühne abgelenkt. Wie seltsam er dreinsah. Der schwarze Fremdling rührte sich nie, nicht einmal zwischen den Akten, als sei er dort oben aus Holz geschnitzt. Sein Gesicht war ausdruckslos wie eine Maske. Wie alle Menschen der elisabethanischen Zeit war sich Jane nicht sicher, ob Schwarze menschliche Wesen seien. Dennoch schien es ihr, als habe dieses dunkle, unbewegte Gesicht etwas Edles an sich. Was dachte er? Hier vor ihm stellte der Schauspieler vor dem Publikum seine Niedertracht dar. War er selbst auch so schrecklich? Sie hegte keinen Zweifel, daß er gefährlich sein konnte, und dennoch kam es ihr vor, als blickten seine Augen traurig. Was würde er tun?
Der vierte Akt: Die schurkischen Taten des Piraten steigerten sich, aber nun, da die Zuschauer sich daran gewöhnt hatten, ließ es sie mehr und mehr gleichgültig. Als der letzte Akt begann, sah Edmund, daß der fremdartige schwarze Mann im Hintergrund zumindest bei manchen mehr Neugierde erregte als das Stück selbst.
Orlando starrte vom Lords' Room aus auf die Bühne. Er hatte Sixpence bezahlt, da er hoffte, sich selbst als Helden zu sehen. Es bestand kein Zweifel, daß er die Hauptfigur des Stücks war. Sobald er gekommen war, sah er, wie das Publikum auf ihn deutete, und hörte das Geflüster und Stimmengewirr mit einem Gefühl der Befriedigung. Die erste Szene bestätigte diese Ansicht. Der Mohr dieses Stücks war Kapitän eines Schiffs und offenkundig ein Mann von einiger Bedeutung. Nur über Könige und Helden wurden Stücke geschrieben, meinte er. Aber im dritten Akt war er sicher; dieser Finstere Mohr war ein Schurke. Während sich der vierte Akt entfaltete, begann er Empörung, dann Zorn zu verspüren. Hatte dieser nachgemachte Pirat je das Donnern der Kanonen gehört, die Gewalt eines Sturms gefühlt, dem Tod oder einer
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