London
gehangen hatte, stand nun ein sehr schönes Wohngebäude. Gebaut aus Ziegeln mit Fachwerk, mit Mörtel verputzt, fünf Stockwerke hoch und umgeben von einem ummauerten Obstgarten, überragten seine drei Giebel das darunter gelegene kleine Kirchspiel St. Lawrence-Silversleeves.
Alderman Ducket mit seinem Abscheu davor, daß in Blackfriars wieder Schauspiele aufgeführt wurden, wohnte hier seit zwei Jahren, und als der Bote zu seinem Ritt nordwärts zu König Jakob aufbrach, ging es auch für Ducket um das Schicksal seiner Familie. Vorsichtig blickte er in die Wiege, in der das Neugeborene lag. Verstohlen steckte er die Hand hinein und fühlte nach den Fingern. Dann lächelte er erleichtert.
Dreimal hatte er geheiratet. Drei Kinder hatte er von seiner ersten Frau, drei von seiner zweiten, und nun, von seiner dritten Frau, lag da sein neuntes Kind. Und alle waren sie frei von dem Fluch der feinen Schwimmhäute an den Fingern. Er hatte nie den Tag vergessen, als er, noch ein kleiner Junge, die Hände seines Großvaters betrachtet hatte. »Mein Großvater hatte dieselben Hände«, hatte der alte Mann ihm erklärt. »Und der hatte sie ebenfalls von seinem Großvater – dem Ducket, der in den Fluß getaucht ist und die Erbin der Bulls geheiratet hat.«
Die Duckets waren reich. Als König Heinrich die Klöster aufgelöst und dabei einen großen Teil des riesigen Kirchenschatzes übernommen hatte, war der Großvater des Alderman als Silber-Ducket bekannt geworden, weil er davon soviel erworben hatte. Doch sie hatten nie versucht, ihre niedrige Herkunft zu verleugnen. Als Abkömmlinge auch der Bulls verachteten sie instinktiv jede Lüge, und außerdem wurden sie in jeder oder doch jeder zweiten Generation durch die feinen Schwimmhäute daran erinnert. Doch für Jakob Ducket war es so, als fließe in den großen Strom der patrizischen Bulls, zu dem er sich zugehörig fühlte, ein verschmutzter Bach. Schlimmer noch, in diesen zunehmend calvinistischen Zeiten konnte man darin das Mißfallen Gottes sehen, ein Zeichen, daß er und sein gesamtes Geschlecht womöglich nicht zu Gottes Auserwählten gehörten. Doch sein Vater war nicht verunstaltet gewesen, und auch er selbst nicht. Angstvoll hatte er jedes seiner neugeborenen Kinder, die dritte Generation, untersucht, und nun waren drei mal drei gekommen, allesamt unversehrt. Der Fluch war aufgehoben.
Als er auf sein neuntes Kind, seinen dritten Sohn, hinabblickte, lächelte er glücklich, und da er eine Neigung zur Geschichte der Antike hatte, verkündete er frohgemut: »Nennen wir ihn Julius. Wie Julius Cäsar, der Name eines Helden.«
Einen Monat später kam der Beweis der göttlichen Gunst, die der Familie nun anhaftete, als Ducket mit dem Lord-Mayor dem neuen König zur Begrüßung entgegenritt und zusammen mit den anderen Aldermen zum Ritter geschlagen wurde. Nun war er Sir Jakob Ducket, dem Monarchen durch heilige Lehnstreue verbunden. Und so konnte er seinen Kindern diese beiden wichtigen Lehren mitgeben: »Seid dem König treu. Es scheint, daß Gott uns auserwählt hat. Seid demütig.« Womit er natürlich eigentlich meinte: Seid stolz.
1605
Am Vorabend des 5. November, an dem Tag, an dem König Jakob – der erste dieses Namens in England, der sechste in Schottland – sein englisches Parlament eröffnen sollte, wurde entdeckt, daß unter dem Palast von Westminster eine große Menge von Pulver gelagert worden war und ein gewisser Guy Fawkes, zusammen mit anderen katholischen Verschwörern, die Absicht hatte, den König, das Oberhaus und das Unterhaus bei der Zeremonie in die Luft zu sprengen.
Dieses Komplott erregte riesiges Aufsehen. Sir Jakob Ducket nahm voller Grimm seine Familie mit zum Kirchhof der St.Paul's-Kathedrale, um den Hinrichtungen beizuwohnen. Der Säugling Julius war noch zu klein, doch als er vier Jahre alt war und die Kinder des Viertels gegenüber von St. Mary-leBow einen großen Scheiterhaufen errichteten und zum Gedenken an diesen Tag symbolisch eine Puppe als Guy Fawkes verbrannten, wußte er, was das bedeutete. Sein Vater hatte ihm eingeschärft: »Keine Papisterei, Julius. Die Papisten sind der innere Feind.«
1611
Es war unmöglich, Martha Carpenter nicht zu mögen. Niemand, der sie kannte, konnte sich vorstellen, daß sie jemals aus Bosheit handeln würde. Immer sanft, immer bescheiden, hatte sie in den siebenundzwanzig Jahren ihres Lebens niemals etwas für sich selbst verlangt. Als man ihr sagte, sie müsse zu Hause bleiben und für
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