London
Flußbreite, und über der vergoldeten Kabine flatterte eine große Fahne mit einer Abbildung des Globe im Wind. Sechs stämmige Ruderer, zwei davon Cousins von John Dogget, transportierten bei jeder Fahrt dreißig Passagiere, von denen jeder einen Halfpenny zahlen mußte. Man hatte die Barke bereits hergenommen, um Werbung für das Theater und seine Aufführungen zu machen, und hatte die ganze Strecke entlang bis hinauf nach Chelsea und hinunter nach Greenwich Handzettel verteilt.
Von dem Turm über dem Dach des Globe hatte eine Trompete zweimal verkündet, daß um zwei Uhr eine Aufführung beginnen würde. Abendvorstellungen waren verboten, da niemand wünschte, daß sich nach Einbruch der Dunkelheit große Menschenmengen auf den Straßen befanden, und selbst spätnachmittags durfte nicht gespielt werden, da sonst das gemeine Volk davon abgehalten werden könnte, zur Abendandacht zu gehen. Bald nach dem Mittagessen, damals Dinner genannt, mußte das Theater in der elisabethanischen Zeit beginnen.
Einer der Brüder Burbage stand am Eingang, um zu sehen, wie viele Leute kamen, und um die Einnahmen zu überschlagen. Der Eintritt zum Parterre betrug einen Penny, zu den Galerien Twopence. Der Lords' Room kostete an diesem Tag Sixpence. Bisher war das Theater noch nicht einmal halbvoll, das würde siebenhundert einbringen – keine Katastrophe, aber nicht genug, um eine weitere Vorstellung zu sichern, es sei denn, das Stück fand sehr großen Anklang. Rose und Sterne, die versprochen hatten, zwanzig Freunde mitzubringen, waren nur mit sieben gekommen. Der Lords' Room war bisher noch leer, und Lady Redlynch war nicht gekommen. Edmund sah sich verzweifelt um. Fünf Schauspieler, darunter Janes kleiner Bruder, standen vor ihm. Aber wo waren die drei anderen? Will Shakespeare hatte sich beim Beginn der Proben entschuldigt, da er an seinem eigenen Stück arbeitete. Bei der gestrigen Probe war noch eine volle Besetzung dagewesen. »Richard Cowley ist krank«, berichtete nun einer der anderen. »Thomas Pope hat seine Stimme verloren«, sagte Fleming. Und William Sly war einfach verschwunden.
Edmund brütete ein paar Minuten über seinem Manuskript, um Pope und Cowleys Rollen mit ein paar Kürzungen zu streichen, doch wenn Sly nicht auftauchte… »Es geht nicht«, entschied er. »Unmöglich.« Er sah sie alle hilflos an. Sein Stück, alles, wofür er gearbeitet hatte, sollte in dieser letzten Minute zerstört werden. Man würde dem Publikum das Geld zurückgeben müssen. Schweigend sahen die Schauspieler einander an, bis schließlich Janes kleiner Bruder sich zu Wort meldete. »Könntet Ihr nicht selbst eine Rolle übernehmen?«
»Ich? Auf der Bühne?« Er war ein Gentleman, kein Schauspieler.
»Das scheint der beste Gedanke zu sein«, stimmte Fleming zu. »Ihr kennt das Stück. Und es ist kein anderer da.«
Nach einer langen Pause, in der Edmund verzweifelt mit sich rang, erkannte er, daß der Junge recht hatte.
Edmund sah sie alle im Tageslicht, das von dem kreisförmigen offenen Dach hereinfiel: achthundert Augenpaare, die aus dem Parkett zu ihm heraufstarrten, dazu die aus den Galerien an jeder Seite. Alle sahen ihn erwartungsvoll an – aber würde das so bleiben? Schauspieler der elisabethanischen Zeit mußten sich die Aufmerksamkeit ihres Publikums jede Minute verdienen. Langweilte man es, dann fing das Volk zu schwatzen an. Reizte man es, wurde man ausgezischt. Verärgerte man es ernstlich, lief man Gefahr, daß Nüsse, Apfelbutzen, Birnen oder Käserinden auf die Bühne oder den Kopf des Schauspielers geworfen wurden.
Doch Edmund hatte keine Angst. In der linken Hand hielt er eine kleine, um einen Stab gewickelte Rolle mit seinem Text, die Fleming ihm verstohlen zugesteckt hatte, als er auf die Bühne trat. Es war nicht selten, daß Schauspieler in neuen Stücken solche Soufflierrollen bei sich hatten, aber Edmund war das absurd erschienen. Es war unwahrscheinlich, daß er den Text vergessen würde, den er selbst geschrieben hatte. Während er auf sein Stichwort wartete, blickte er sich um und entdeckte Rose und Sterne, die äußerst überrascht schienen, ihn auf der Bühne zu sehen. Dann beobachtete er den Schauspieler, der den Mohren spielte. Er sprach recht gut, und das Publikum hielt den Blick auf die fremdartige schwarze Gestalt geheftet. Seine Idee war also gut gewesen. Nun war es Zeit für seinen eigenen Einsatz. Mit einem tiefen Atemzug trat er nach vorn, doch in seinem Kopf herrschte völlige Leere. Er
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