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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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meuternden Mannschaft ins Gesicht gesehen? Hätte er ein Schiff durch einen Sturm steuern können, bei dem er von Wellen überspült wurde, oder kaltblütig einen Mann töten, weil es notwendig war; oder auch nur erraten, was es hieß, nach sechs Wochen auf See in die Arme einer heißblütigen Schönheit in einem afrikanischen Hafen zu kommen? Und nur weil er unverbildet war, sah er als einziger in diesem Publikum wirklich, wie vulgär Meredith' armseliges Stück war.
    Wieder erinnerte er sich an Meredith' Worte. »Ich kann Euch zu einem Helden oder zu einem Schurken machen; zu einem klugen Mann oder zu einem Narren.« Das war also die Macht der Feder dieses jungen Stutzers. Er dachte, er habe die Macht, ihn auf dieser runden Bühne aus Holz nicht nur zu einem Schurken, sondern auch noch nichtswürdig zu machen. Orlando tastete nach seinem Dolch.
    Im fünften Akt hatte das Publikum endgültig genug. Während der Mohr, der sich zu seinem gräßlichsten Verbrechen anschickte, besiegt und gefaßt wurde, woraufhin unvermeidlich Prozeß und Hinrichtung folgten, begriff jemand im Parterre die unfreiwillige Komik. »Hängt den Teufel!« rief er laut. »Und den anderen gleich mit!«
    Es war ein guter Witz. Ein Schauspieler gab vor, ein Finsterer Mohr zu sein, während über ihm ein echter Mohr saß.
    Die nächsten Rufe waren noch deutlicher. »Jemand muß für dieses Stück hängen!« – »Sie gehören zusammen. Hängt sie beide!«
    Während das Parterre darin einen derben Scherz sah, begriff man auf der Galerie subtilere Hintergründe. »Verschont den Mohren und hängt den Autor! Das Stück ist das Verbrechen!«
    »Nein«, erklärte ein Kavalier dem Publikum. »Das Stück ist nicht langweilig, sondern ein wahrer Bericht. Und seht dort den richtigen Schurken!« Er deutet auf Orlando Barnikel.
    Das Publikum bog sich vor Lachen, und die Schauspieler konnten nicht weiterspielen. Dann fingen die Leute an, mit Gegenständen zu werfen – Nüsse, Käserinden, ein paar Apfelbutzen, ein oder zwei Kirschen. Doch alles blieb noch gutmütig. Da die Leute den Schauspielern und sogar dem jungen Autor zu große Schande ersparen wollten, warfen sie ihre Geschosse vor allem auf den Mohren im Lords' Room, der irgendwie die Inspirationsquelle des Ganzen war. Das meiste flog nicht weit genug, nur zwei oder drei Wurfgeschosse landeten in seiner Nähe oder trafen ihn. Einen Augenblick später rief einer der Burbages die Schauspieler herein und schickte den Possenreißer auf die Bühne, der vom Publikum mit herzlichen Beifallsrufen begrüßt wurde. So endete Meredith' Stück.
    Der Finstere Barnikel zuckte nicht mit der Wimper. Er würdigte die Nüsse, Früchte und Käserinden ebensowenig eines Blickes wie die Werfer, für die er eine tiefe Verachtung fühlte. Orlando war gekommen, um ein Stück über sich selbst zu sehen, und man hatte ihm dieses Zerrbild gezeigt. Ganz London sah ihn nun nicht als reichen, wagemutigen Kapitän, sondern als Schurken, und was noch schlimmer war, als eine Gestalt, der man Verachtung entgegenbrachte.
    Am schlimmsten von allem war das Gefühl der Einsamkeit – der Einsamkeit eines Mannes, der entdeckt, daß er immer verachtet werden wird, obwohl er alles geleistet hat, was möglich ist; und daß er, wie ihm seine Cousins in Billingsgate angedeutet hatten, selbst dort, wo er meinte, sein Zuhause zu haben, immer ein Außenseiter bleiben mußte. Sein Los war das des Seefahrers, für den es nie ein Heimkommen geben konnte.
    Nur eins blieb ihm: seine Ehre. Meredith hatte es gewagt, ihn zu beleidigen, und er hatte Männer schon für weit weniger getötet.
    Jane ging zusammen mit Edmund den ganzen Weg zum »Staple Inn«. Zu einem solchen Zeitpunkt konnte sie ihn nicht allein lassen, sondern hakte ihn tröstend unter.
    »Manches war sehr gut«, meinte sie.
    »Es ist ausgelacht worden.«
    »Nein. Der Auslöser war der Mohr im Lords' Room, nicht dein Stück.«
    Als sie zum »Staple Inn« kamen, umarmte sie ihn und gab ihm einen langen Kuß, dann ging sie langsam zurück nach Hause. Der Finstere Barnikel beobachtete sie, so wie er es getan hatte, seit sie und Meredith das Globe verlassen hatten.
    Am folgenden Abend war es gerade dämmrig geworden, als die dunkle Gestalt und die beiden Seeleute zuschlugen, nachdem sie eine Weile auf der Lauer gelegen hatten. Sie rollten den Körper in ein kleines Segel und trugen ihn rasch davon. Kurz darauf ruderten sie mit einem Boot flußabwärts, wo das Schiff des Finsteren Barnikel lag,

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