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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Julius konnte kaum die Augen von ihnen wenden; sein Herz schwoll an vor Stolz. »Bist du nun für immer zurückgekommen?« wagte er schließlich zu fragen. Zu seiner großen Freude schenkte ihm Henry sein seltsames sardonisches Lächeln. »Ja, kleiner Bruder«, versprach er. »Nun bleibe ich.«
    1620
    In einer sternenhellen Nacht im Juli 1620 standen etwa siebzig Leute in einem Halbkreis am Themseufer und warteten auf die Morgendämmerung. Manche waren nervös, manche aufgeregt, doch Martha fühlte nur großen Jubel über den Ruhm des Herrn.
    Seit Jahren hatten gottesfürchtige Menschen in London von dieser Unternehmung gesprochen. Aber wer hätte sich je träumen lassen, daß sie dabeisein würde? Wer hätte die außergewöhnliche Veränderung in der Familie Dogget vorhersehen können? Oder die unerwartete Haltung des Jungen. Oder die verwirrenden Umstände, die dazu geführt hatten, daß die Familie an diesem Morgen am Ufer stand. Martha sah zu ihrem Mann auf und lächelte. John Dogget jedoch lächelte nicht.
    John Dogget liebte seine Frau. Als Jane Fleming vor zwanzig Jahren verschwand, war Dogget zutiefst bestürzt, doch die Zeit verging, und zwei Jahre später hatte er ein lebhaftes Mädchen geheiratet, Tochter eines Fährmanns, und war bis zu ihrem plötzlichen Tod sehr glücklich mit ihr gewesen. Die Monate, die dann folgten, waren so jammervoll gewesen, daß er kaum gewußt hatte, was er tat, als er Martha geheiratet hatte.
    Bevor er sie an ihrem Hochzeitstag heimbrachte, hatte er versucht, das Haus neben der Bootswerkstatt für sie herzurichten, doch die Familie hatte immer in einem fröhlichen Durcheinander gelebt, und Gott allein wußte, was Martha wohl empfunden hatte. Noch brachte ihr die Hochzeitsnacht, obwohl alles Wesentliche gebührend vollzogen wurde, viel Freude, argwöhnte er. Er fühlte sich unsicher, als er am nächsten Morgen zur Arbeit ging. Am Abend kehrte er in verwandelte Verhältnisse zurück. Das Haus war sauber. Die Kleider der Kinder waren gewaschen. Auf dem Tisch standen eine große Pastete und eine Schüssel voll Äpfel, die mit Gewürznelken gespickt waren, und vom Ofen her kam ein Duft von frischen Haferküchlein. Seit einem Jahr hatte die Familie nicht mehr so gut gegessen. Überwältigt von Dankbarkeit, hatte er sie in dieser Nacht zärtlich und leidenschaftlich geliebt.
    Auf ruhige Art hatte sie die Kinder für sich gewonnen. Martha zwang sie nie dazu, sie anzuerkennen, aber die Kinder stellten rasch fest, daß ihr Zuhause frisch roch, daß ihre Kleider geflickt wurden und die Speisekammer aufgefüllt. Eine Atmosphäre freundlicher Ruhe lag über dem Haus. Doch sie verwirrte ihn immer noch. Die Doggets waren von Natur aus eine fröhliche Familie; aber wenn sie lachten, saß Martha still lächelnd dabei, weil sie sah, daß sie glücklich waren; sie selbst jedoch lachte nicht. Und lag ihr wirklich etwas an ihrem Sexualleben? Sie wurde erregt, ja, aber sie ergriff nie selbst die Initiative. Doch als sie ihn nach drei Monaten gefragt hatte: »Bin ich eine gute Frau?«, schien sie erfreut über seine Antwort: »Keine könnte besser sein.« Und zur gegebenen Zeit hatten sie ein Kind bekommen.
    Die Veränderung war so langsam vor sich gegangen, daß er nur allmählich begriff, daß etwas mit seiner Familie geschehen war. Selbst im rüpelhaften Southwark lächelten die besseren Ladeninhaber ihm und seinen Kindern nun höflich zu – was sie zuvor nie getan hatten. Noch überraschender war der Tag, als der Büttel des Kirchspiels, der von ein paar lauten Trunkenbolden sprach, sich bei ihm für diese Störung »gottesfürchtiger Leute wie Euch« entschuldigte.
    »Ich habe keine Frau geheiratet«, sagte Dogget manchmal bitter. »Ich habe eine Kirchengemeinde geheiratet.« Es waren nicht nur die Gebetsversammlungen, sondern es gab anscheinend ein ganzes Netz ähnlich gesinnter Leute, das sich über sämtliche Stadtbezirke erstreckte, fast wie eine riesige Gilde, an die sich Martha um Hilfe wenden konnte. Dieses Netz kam höchst eindrucksvoll ins Spiel, als John und Martha Streit hatten.
    Es ging um den ältesten Jungen. Obwohl dazu erzogen, in der Bootswerkstatt zu helfen, zeigte er keinen Wunsch, seinem Vater in seinem Gewerbe nachzufolgen, sondern erklärte, er wolle als Fischer zur See gehen. Dogget, der wußte, daß die Bootswerkstatt ein solides kleines Unternehmen war, erwartete, daß Martha ihn unterstützte, doch sie erklärte: »Du solltest ihn gehen lassen. Unsere Arbeit ist

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