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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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geäußert hatte.
    Das Kirchspiel mochte klein sein, aber dank einer Stiftung, die Silber-Ducket vor fünfzig Jahren eingerichtet hatte, waren es nun reiche Pfründe, die man nicht leichtfertig vergab. Nur auf Geheiß des Bischofs und aufgrund einer Nachricht vom Hof empfing Sir Jakob Meredith, den er heftig mißbilligte. Daher begann er ohne alle Höflichkeitsfloskeln:
    »Schreibt Ihr immer noch Theaterstücke, Master Meredith?«
    »Nein, Sir Jakob. Seit vielen Jahren nicht mehr. Nur einige religiöse, besinnliche Gedichte, allein für mich bestimmt.«
    »Aber zweifellos habt Ihr eine Mätresse.«
    »Nein, Sir Jakob.« Edmund war blaß geworden.
    »Was hat Euch bewogen, in den geistlichen Stand zu treten?«
    Edmund, aus der Fassung gebracht, weil er sah, wie ihm seine einzige Chance auf ein Amt durch die Finger glitt, platzte mit der Wahrheit heraus: »Weil ich keine andere Möglichkeit gesehen habe.«
    Ein leises, unerwartetes Murmeln kam von dem Gentleman rechts von Sir Jakob. »Reue.« Auch der Tuchhändler nickte billigend. Ducket erkannte, daß er zu weit gegangen war. »Unsere Frage ist«, fuhr er milder fort, »ob diese Besserung ehrlich ist.«
    Meredith hatte sich wieder gefaßt. Ernst blickte er die drei Männer an und erklärte ruhig: »Mein Großvater, Sir Jakob, war ein Gentleman am Hof König Heinrichs. Mein Vater folgte ihm nach, und ich habe nie jemanden sagen hören, daß mein Stand nicht ebenfalls adlig sei. Aus welchen Gründen sollte ich dann die heiligen Weihen empfangen, wenn nicht aus Überzeugung?« Das war gelungen. Eine unwiderlegbare Antwort. Denn in der Tat, warum sollte irgendein vornehmer Gentleman eine so bescheidene Beschäftigung suchen? Sir Jakob zögerte. Während dieser kurzen Unterbrechung fragte Julius, der am Kamin saß, unschuldig: »Ist es wahr, Sir, daß der König persönlich für Euch gesprochen hat?«
    Edmund, von dieser Einmischung ebenso überrascht wie alle anderen, wandte sich an den Jungen. »Ich glaube, ja«, erwiderte er mit einem charmanten Lächeln.
    Damit war die Sache erledigt; der Tuchhändler und der alte Gentleman strahlten freundlich. Sir Jakob war geschlagen und klug genug, es sofort zu erkennen. »Es scheint, Master Meredith, daß Ihr uns überzeugt habt«, erklärte er mit so guter Miene wie möglich. »Aber vergeßt nicht«, fügte er hinzu, »daß wir gute Predigten erwarten.«
    Edmund, der seine Haut gerettet hatte, konnte nun darüber nachdenken, daß er womöglich für den Rest seines Lebens jeden Sonntag vor Sir Jakob predigen mußte und daß sein einziger wahrer Freund ein zwölfjähriger Junge Im kommenden Frühling summte und brummte es in der Gildehalle der Mercer geradezu vor Menschen. Julius, den sein Vater mitgenommen hatte, blickte sich wißbegierig um. Die neueste Sensation sollte hier zum ersten Mal in der Öffentlichkeit erscheinen. Draußen in Cheapside hatte sich eine große Menschenmenge zusammengefunden, denn alle hofften, vielleicht einen Blick zu erhaschen.
    Das Stimmengewirr wurde lauter. Ein Mann, gediegen und gutaussehend, war von der anderen Seite her in die Halle getreten. »Rolfe«, flüsterte Sir Jakob, doch dann verstummte sofort alles im Saal, als sie eintrat.
    Sie war fast wie ein Junge gekleidet: Samtrock mit einem großen Spitzenkragen und Manschetten, schlichter Hut mit steifer Krempe, unter dem sich ihr dunkles Haar hervorringelte. In der Hand hielt sie einen Fächer aus Straußenfedern. Sie ging sehr aufrecht, in kleinen Schritten. Abgesehen von der bräunlich-gelben Farbe ihrer Gesichtshaut hätte man nie vermutet, daß sie Indianerin war. Sie hieß Pocahontas.
    Zumindest war das der Name ihres Stammes in Virginia, den die Geschichtsschreibung ihr zu geben beschlossen hat. Bei ihrem eigenen Volk war sie als Mataoka bekannt. Als sie zur Christin getauft wurde, nahm sie den Namen Rebecca an, und da sie eine indianische Prinzessin war, nannten die Londoner sie Lady Rebecca. König Jakob persönlich – so sehr achtete er auf königlichen Rang – hatte sogar Bedenken geäußert, daß eine Prinzessin, selbst von einem wilden Stamm, einen Bürgerlichen aus England geheiratet hatte. Die indianische Prinzessin, die mit den Siedlern Freundschaft geschlossen hatte, war seit drei Jahren mit Captain Rolfe verheiratet, und daher war es im Grunde genommen eine einfache Mrs. Rolfe, die als erste Amerikanerin England besuchte.
    Ganz London hatte mittlerweile die romantische Geschichte gehört, wie Captain Smith aus Jamestown von

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