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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Wenn sie daran dachte, erriet sie Orlando Barnikels insgeheime Wut, und schließlich erkannte sie, daß sie ihn in gewisser Weise liebte.
    Das Ende kam ganz plötzlich. Nach dem dritten Kind, einem Jungen, hatte sie zwei Babys verloren. Orlando war viel unterwegs. Nachdem der kleinere Junge mit zwölf Jahren seine erste Reise mit dem Vater gemacht hatte, kündigte Orlando an: »Ich fahre nach Amerika; komm mit.« Als sie Virginia erreichten und er sie in Jamestown vom Schiff geleitete, hatte er ihr eine Tasche voller Geld in die Hand gedrückt. »Es ist Zeit für dich, daß du mich verläßt.«
    Sie war fast dreißig. Jung genug, um in einer Kolonie, in der oft Frauenmangel herrschte, zu heiraten und eine Familie zu haben. Ein halbes Jahr später hatte sie Wheeler gefunden und geheiratet. Doch er war krank geworden, und Kinder waren nicht gekommen. Von Orlando hatte sie nie wieder etwas gehört. Doch in der letzten Zeit, wenn sie auf dem Wheeler Hill stand und über die Pflanzung blickte, stellte sie an klaren Tagen manchmal fest, daß ihr Blick zum blau glitzernden Ozean schweifte.
    Eine Neuigkeit, die sie von einem ihrer Zwangsarbeiter erfahren hatte, hatte diese Veränderung bewirkt. Der Mann stammte aus Southwark und kannte das Globe gut. Er hatte zwar keine Ahnung, wer sie war, hatte ihr aber erzählt, daß ihre Eltern beide vor kurzem gestorben waren und ihr Bruder ins West Country gegangen war. Diese Neuigkeit hatte sie mit einem seltsamen Gefühl der Freiheit erfüllt. Sie erkannte, daß es nun für niemanden von Bedeutung war, was sie tat; sie würde keine peinlichen Fragen beantworten müssen.
    Tabakpflanzen laugten den Boden aus; nach sieben Jahren waren damals die meisten Plantagen erschöpft. Das war kein sehr großes Problem, da der ganze Kontinent Amerika vor den Siedlern lag; sie legten einfach weiter im Landesinneren eine neue Pflanzung an. In drei Jahren würde Wheelers Farm verbraucht sein, wußte Jane, und sie würde fortgehen müssen. Doch bis dahin würde sie eine ausreichende Summe Geld gespart haben. Genug vielleicht, um etwas anderes zu tun, dachte sie, als sie Richtung Meer blickte.
    Manche Leute mochten Henry hochmütig finden, doch Julius bewunderte ihn dafür, wie beherzt er die Führung der Familie übernommen hatte. Sir Jakob war rechtsseitig gelähmt und konnte nicht mehr sprechen. Er war ein trauriger Anblick, und manche Kinder hätten ihn vielleicht verstecken wollen. Nicht so Henry. Auf seine Anweisung hin wurde Sir Jakob einmal wöchentlich, tadellos gekleidet und begleitet von seinen beiden Söhnen, in einer Sänfte in die Londoner Warenbörse getragen, damit die Leute ihm ihre Aufwartung machen konnten. »Und damit unserer ganzen Familie«, sagte Henry zu Julius. »Was auch geschieht, halte deinen Kopf hoch.«
    Julius hätte in diesem Jahr nach Oxford gehen sollen, doch Henry teilte ihm mit: »Bruder, ich brauche dich. Ich kann nicht alles allein machen.« Bald überließ er die tägliche Buchhaltung und die Verschiffungspläne Julius. »Du hast einen Kopf für Zahlen«, meinte er. Henry gelang dafür ein sehr kluger Schachzug. »Ich kaufe ein Stück Land, direkt am Hügel von Bocton«, verkündete er eines Tages, »um Hopfen für Bier anzubauen. Jeder macht das jetzt.« Und es stellte sich heraus, daß er recht hatte. Für die englischen Brauer, die mit importiertem Hopfen ein dunkleres Bier entwickelt hatten, war es billiger, Hopfen im eigenen Land zu kaufen. Bald wurde ein guter Vertrag mit der Brauerei Bull in Southwark geschlossen, und in den folgenden Jahren brachten die Hopfengärten in Bocton ein regelmäßig fließendes Einkommen.
    Henrys größtes Geschick war, mit mächtigen Leuten Freundschaft zu schließen. Ein paar Wochen nach seiner Rückkehr schien er jedermann zu kennen, nicht nur in der Stadt, sondern auch am Hof. Oft war er auf der Jagd oder speiste mit einem hohen Lord oder war bei einer Hofgesellschaft in Whitehall. Und eines Nachmittags, als Henry in seiner Jagdkleidung ankam, ließ er nonchalant ein Dokument auf den Tisch fallen. Es war ein Vertrag für eine riesige Fracht Seide, unterschrieben von Buckingham, dem mächtigsten Günstling am Königshof.
    Monopole waren heiß begehrt. Strenggenommen waren natürlich die großen Handelsgesellschaften Monopole; ihre Konzessionen, die ihnen die alleinigen Handelsrechte in fernen Regionen verliehen, waren sicher zu solch großen Investitionen nötig. Doch die, von denen Henry sprach, betrafen kleine

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