London
Kinder, davon das älteste ein oder zwei Jahre älter als Julius, und ein Säugling, der offenkundig von Martha war. Da Julius sah, daß Martha ihn erkannte, ging er höflich hinüber und sprach mit ihr.
»Der Bootsbauer und zwei von seinen Kindern haben eine weiße Strähne im Haar, Vater, genau wie wir. Aber am seltsamsten sind ihre Hände. Dogget und eins seiner Kinder haben eine Art feiner Schwimmhäute zwischen den Fingern.«
Eine Sekunde lang sah Sir Jakob aus, als habe man ihn geschlagen. »Wie war der Name? Dogget?« Sir Jakob wußte nichts von den Doggets in Southwark, noch konnte er sich vorstellen, daß solche Leute irgendwie mit ihm verwandt sein könnten. Außer natürlich im Zusammenhang mit dem Findling. Eine kalte Welle der Furcht durchzuckte Sir Jakob. Der Waisenknabe, das Gossenkind. »Der Fluch«, murmelte er. »Geh nicht zu diesen Leuten. Sie sind alle verflucht.«
»Meinst du die Doggets, Vater, oder auch Martha Carpenters Familie?«
»Alle.« Sir Jakob sagte das so entschieden, daß Julius es nicht wagte, weitere Fragen zu stellen. Gleich am nächsten Tag begann Sir Jakob insgeheim Erkundigungen über die Familie in Southwark einzuholen.
Obwohl dieser Vorfall Julius verwirrte, wurde jeder Gedanke daran verscheucht, als er in den folgenden Wochen mit seinem Vater aus der Stadt ritt, um eine Investition zu besichtigen, auf die Sir Jakob sehr stolz war.
Im alten London herrschte stets Mangel an anständigem Trinkwasser. Natürlich gab es die Themse. Aber wenn die Metzger ihre Abfälle hineingeworfen, die Gerber ihre Häute gewaschen, die Brauer, Färber und andere ihre Abwässer eingeleitet hatten und dazu dann noch die natürlichen Ausscheidungen einer Stadt von zweihunderttausend Menschen kamen, schmeckte das Wasser aus dem Gezeitenfluß alles andere als lieblich. Der Walbrook war unter Häusern verschwunden; der Fleet stank. Zwar funktionierten die alten Rohrleitungen aus Whittingstons Zeit noch und waren ausgebaut worden, doch die Versorgung war unzureichend, und selbst dieses Wasser mußte von Trägern, die jeweils zwei Eimer an einer Schultertrage hängen hatten, von Haus zu Haus geschleppt werden. »Wasser, kauft frisches Wasser!« hallten ihre Rufe jeden Tag in den Straßen wider.
Nun sollte das alles geändert werden, dank Sir Hugh Myddelton. Myddelton, ein Adliger aus einer führenden walisischen Familie, hatte in der Gilde der Goldschmiede ein großes Vermögen erworben; zudem war er ein Mann von großem Mut und Weitblick. Als er angeboten hatte, der Stadt ein neues Wasserleitungssystem zu bauen, waren der Mayor und die Aldermen mehr als dankbar gewesen, und Sir Jakob Ducket hatte begeistert einen Anteil an dem Unternehmen erworben.
Diese New River Company wurde von Myddelton selbst sachkundig geleitet. Ein Kanal wurde gebaut, in dem man Wasser aus frischen Quellen etwa zwanzig Meilen weiter nördlich heranführte. Oberhalb der Stadt war ein Speicherbecken, und innerhalb der Stadtmauern konnte das frische Wasser direkt in die einzelnen Häuser gepumpt werden. Dieses Unternehmen war so kostspielig und kompliziert, daß der König persönlich die Hälfte der Anteile gekauft und der Gesellschaft ein Monopol zugestanden hatte.
Nichts bereitete Sir Jakob mehr Vergnügen, als zusammen mit Julius aus London hinaus zureiten und dem Verlauf des Kanals bis zu dem Speicherbecken zu folgen, von wo aus man einen Blick auf die ferne Stadt hatte. Sie waren gerade aufgebrochen, als ein fröhlicher Ruf sie aufhielt. »Vater! Man hat mir gesagt, daß ich dich auf dieser Strecke finden würde.« Julius drehte sich um und sah eine hochgewachsene dunkle Gestalt mit stolzer, fast verachtungsvoll eleganter Haltung auf sie zureiten: sein älterer Bruder Henry.
Drei Jahre war es her, daß sie ihn gesehen hatten. Von Oxford aus war er mit einem Freund nach Italien gereist, hatte dort ein Jahr studiert und dann ein Jahr in Paris verbracht. Mittlerweile war aus einem blassen Studenten ein Mann geworden. In Schwarz gekleidet, dieselbe Silbersträhne im Haar, sah man sofort, daß er der Sohn seines Vaters war. Doch als er nun zu ihnen kam und die beiden Männer am Kanal entlangritten und Neuigkeiten aus London, Paris und vom französischen und englischen Hof austauschten, wurde sofort ein subtiler Unterschied zwischen ihnen deutlich. Sir Jakob war ein Gentleman, Henry ein Aristokrat; der puritanische Alderman war streng, der elegante Weitgereiste hart; der Vater glaubte an Ordnung, der Sohn an Herrschaft.
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