London
hatten sich die Pestbazillen vermehrt und den Mageneingang blockiert. Der Floh war daher sehr hungrig und suchte nach einem anderen Körper, an dem er saugen konnte. Sobald er die Haut des nächsten Geschöpfes durchbohrte, würden Tausende von Bazillen in den neuen Wirt eindringen, während der Floh starb. Er hüpfte auf Meredith' Mantel, als dieser den letzten Absatz von Jane Wheelers Testament schrieb.
»Zu guter Letzt spreche ich mit diesem meinem letzten Willen und auf dem Sterbebett über Sir Julius Ducket, diesen Dieb und Lügner, der mein rechtmäßiges Vermögen gestohlen und mich zugrunde gerichtet hat, meinen Fluch. Möge Gott der Gerechte ihn für seine Sünden zur Hölle fahren lassen, und möge seine Familie hinfort verflucht sein und sein Erbe gestohlen werden so wie das meine. Amen.«
»Seid Ihr sicher, daß Ihr das schreiben wollt?« fragte Meredith.
»Ja. Gebt mir die Feder.« Mühevoll unterzeichnete sie. »Ihr und die Krankenschwester unterschreibt als Zeugen.«
Der Floh hüpfte auf Meredith' Ärmel. »Ich muß nun fort«, erklärte Meredith und zog seinen Handschuh wieder an.
Er beschloß, Sir Julius nichts von dem Fluch zu sagen. Der Floh wollte Meredith gerade auf die bloße Hand hüpfen, doch sie verschwand in dem langen Lederhandschuh. Als Meredith zur Tür ging, hüpfte der Floh auf die Krankenschwester.
Im Oktober schien die Pest ihren Höhepunkt überschritten zu haben. In den ersten zwei Wochen lagen die Sterbelisten bei etwa viertausend, in der vierten Woche unter fünfzehnhundert, drei Wochen lang bei etwa tausend, um dann weiter zu fallen. Obwohl bis Februar noch einzelne Fälle auftraten, begann sich London ab November vorsichtig wieder zu öffnen. Ende November wagten sich Dogget und seine Familie zurück in ihre Behausung und stellten fest, daß ein kleines Erbe auf sie wartete. Ende Januar rollten die Kutschen selbst der reichsten Bürger und ihrer Arzte zurück in die Stadt.
Die offizielle Zahl der Todesopfer der Großen Pest lag bei über fünfundsechzigtausend. Bemerkenswert war die Kolonie auf den schwimmenden Inseln in der Themse. Insgesamt lebten mehrere zehntausend Menschen einige Wochen lang auf dem Fluß, und soweit bekannt ist, infizierte sich kaum einer an der Krankheit. Doktor Richard Meredith registrierte diese Tatsache, konnte sie jedoch zu seinem Kummer immer noch nicht erklären.
1666
Es war still in der Nacht zum 1. September. Sir Julius lag friedlich in dem großen Haus hinter St. Mary-le-Bow. Es war ein langer, schöner Sommer gewesen, und erst in der letzten Woche war die Familie aus Bocton zurückgekehrt. Morgen war Sonntag. Gegen ein Uhr morgens wachte er auf. Hatte er etwas gehört? Er sah aus dem Fenster. Kam da vielleicht ein schwaches Geräusch aus der Richtung der London Bridge? Die Sterne beschienen die steilen Dächer um sein Haus herum mit ihrem schwachen Licht. Er horchte, aber nach ein oder zwei Minuten ging er wieder zu Bett. Es war fast vier Uhr morgens, als seine Frau ihn weckte. Diesmal gab es keinen Zweifel. Über den Dächern zu seiner Linken sah er einen schwachen Schein; Flammen mußten irgendwo bei der Brücke zum Himmel aufsteigen, aber wahrscheinlich nicht in ihrer Nähe. »Ich gehe und sehe nach«, erklärte er, zog sich etwas an und verließ das Haus.
Der Brand hatte kurz nach Mitternacht im Haus eines Bäckers in einer schmalen Straße etwas abseits von East Cheap, in der Pudding Lane, begonnen. Er hatte sich nun auf etwa ein Dutzend der zusammengedrängten kleinen Häuser ausgedehnt, aber Julius hatte schon oft ein schlimmeres Flammenmeer gesehen. Die Männer löschten mit Wassereimern. Als Julius sich umdrehte, um nach Hause zu gehen, begegnete er dem Mayor. »Es scheint keine große Sache zu sein«, meinte Julius.
»Eine Frau könnte es auspissen«, knurrte der Mayor und stampfte davon.
Dieser unfeine und berühmte Spruch wäre nicht in die Geschichte eingegangen, wäre nicht Wind aufgekommen. Als Julius wieder wohlbehalten in seinem Bett lag, wehte eine lebhafte Brise, die Funken und Glutasche in die nächste Straße wehte, die direkt zur London Bridge führte. Bei Morgengrauen stürzte die Kirche St. Magnus-the-Martyr ein, und bald darauf erreichte das Feuer die Brücke. Am Vormittag bedrohte es die Lagerhäuser entlang des Flusses.
Als Julius erneut ausging und sich auf den Weg zu einem Aussichtspunkt an der Spitze des Cornhill machte, sah er einen gewaltigen Großbrand, der sich um den ganzen Brückenkopf herum
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