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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Er drehte sich um, und einen Augenblick später trat er den Jugendlichen entgegen. »Was hat er getan?« fragte er.
    »Er hat den Brand gelegt, Sir«, riefen sie.
    Schon am Tag zuvor hatten die Gerüchte begonnen. Eine solche Feuersbrunst konnte nicht das Werk des Zufalls sein. Manche sagten, es müßten die Holländer sein, doch die meisten hatten einen weit folgerichtigeren Verdacht. »Es sind die Katholiken«, sagten sie. »Wer sonst würde so etwas tun?«
    »Aber ich bin kein Katholik!« rief der Junge in gebrochenem Englisch. »Ich bin Protestant. Hugenotte.«
    Die Hugenotten, 1572 von einem frommen französischen König zu Tausenden hingemetzelt, waren eine Generation lang durch das Edikt von Nantes geschützt gewesen. Doch immer noch waren diese frommen französischen Calvinisten ständigen Einschränkungen unterworfen, und ein nicht sehr starker, aber stetiger Strom von Hugenotten war nach England gekommen, wo es ihnen erlaubt war, diskret ihre Religion auszuüben.
    Der junge Bursche war nicht älter als siebzehn; ein schlanker, intelligent aussehender Junge, dessen auffälligster Zug seine Brille war, durch die er kurzsichtig auf seine Angreifer spähte.
    »Du bist Protestant?« fragte Carpenter.
    »Ja, ich schwöre es«, antwortete der Junge.
    O Be Joyful faßte Mut. Er stellte sich vor den Jungen und erklärte den Angreifern: »Ich bin O Be Joyful Carpenter. Mein Vater Gideon hat mit Cromwell gekämpft, und dieser Junge teilt unseren Glauben. Laßt ihn in Ruhe, oder ihr müßt erst gegen mich kämpfen.« Er war sich nicht sicher, was passiert wäre, wenn nicht eine Patrouille von Yorks Männern in Sicht gekommen wäre. Widerstrebend zogen die Jugendlichen ab.
    »Wo wohnst du?« fragte O Be Joyful.
    »Unten beim Savoy-Palast, Sir«, antwortete der junge Hugenotte. Es gab dort eine kleine Gemeinde französischer Protestanten. Carpenter bot ihm an, ihn zurückzubegleiten. »Du bist noch nicht lange hier?« fragte er.
    »Ich bin gestern gekommen, um hier bei meinem Onkel zu wohnen. Ich bin Uhrmacher.«
    »Aha. Wie heißt du?«
    »Eugene, Sir. Eugene de la Penissiere.«
    »De la was?« O Be Joyful schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nie merken«, gestand er. »Ich glaube, du fährst besser, wenn du dich Penny nennst.«
    »Eugene Penny?« Der junge Bursche überlegte zweifelnd. »Ihr habt mir das Leben gerettet, Sir; Ihr seid ein sehr mutiger Mann. Wenn Ihr sagt, ich soll ›Penny‹ heißen, alors, Penny. Und wo kann ich Euch finden, Sir, damit ich Euch meinen Dank demnächst angemessen ausdrücken kann?«
    »Nicht nötig. Mein Haus ist ohnehin abgebrannt. Aber ich heiße O Be Joyful Carpenter; ich bin Holzschnitzer.«
    Beim Savoy-Palast trennten sich die beiden Männer. »Wir werden uns wieder begegnen«, versprach Eugene.
    Immer noch wütete die Feuersbrunst. St. Paul's war nur noch eine riesige schwarze Ruine; ebenso die Guildhall, Blackfriars, Ludgate. Am Dienstag abend und Mittwoch breitete sich der Brand sogar noch außerhalb der Stadtmauer aus, Holborn und Fleet Street entlang. St. Bride's brannte nieder. Erst am offenen, grasbewachsenen Gelände um den Temple stießen die Flammen auf eine Feuerschneise, die sie nicht überwinden konnten. Im Osten rettete eine riesige Schneise, die der Herzog von York gehauen hatte, den Tower von London. Abgesehen davon und einer kleinen Zahl anderer Ausnahmen war die mittelalterliche Stadt innerhalb ihrer Mauern völlig zerstört.
    Für zwei Menschen hatten Pest und Feuersbrunst zudem zu einer inneren Krise geführt. Doktor Meredith war nach der Pestepidemie von einem tiefen Gefühl des Versagens erfüllt. Seine einzige Rolle, gestand er offen ein, war es gewesen, den Sterbenden Trost zu spenden. Seine Arzneien waren nutzlos, das wußte er. »Ich könnte ebensogut versuchen, ihre Seelen zu retten«, folgerte er. »Ich werde die Weihen empfangen und Geistlicher werden, so wie es ursprünglich meine Absicht war.« Dabei hielt ihn nichts davon ab, zugleich seine medizinischen Studien fortzusetzen. Gott sei Dank gab es immer noch die Royal Society.
    O Be Joyful war nach der Feuersbrunst verzweifelt. Nachdem er sich von Eugene getrennt hatte, war er weiter herumgelaufen und hatte den Brand betrachtet, und die Worte des Jungen hallten wie Spott in seinen Ohren wider. »Ein mutiger Mann«, in der Tat. Es hatte keinen Sinn, sich vorzumachen, daß Marthas Tod unvermeidbar gewesen war, sagte er sich. »Ich hatte sie herunterholen und retten können. Aber aus Furcht und

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