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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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ausbreitete. Zwei-, vielleicht dreihundert der eng zusammengedrängten Häuser mochten in Flammen stehen. Das Prasseln und Krachen hallte nun in der ganzen Stadt wider. Er ging so nahe an den Rand des Feuers heran, wie er es wagte, dann die Watling Street hinauf, wo er Richard Meredith traf, der mit einem Gentleman sprach, den er als Mr. Pepys vorstellte.
    »Ich habe den König und seinen Bruder in Whitehall gesehen«, erzählte Pepys. »Sie haben Befehl gegeben, Häuser abzureißen, um Feuerschneisen zu bilden, aber weil die Stadtbehörden Angst haben, die Besitzer könnten eine Entschädigung fordern, rühren sie die Häuser nicht an!«
    »Was wird also geschehen?«
    »Der Brand wird wüten«, meinte Pepys.

    Im Laufe des Nachmittags sagte O Be Joyful seiner Familie, sie solle sich bereitmachen, das Haus zu räumen. Der Brand hatte sich stetig ausgebreitet. Ein Strom von Karren mit den aufgetürmten Habseligkeiten der Leute kämpfte sich mühsam von der Brücke her die Watling Street hinauf.
    In den letzten Monaten war sich O Be Joyful zunehmend seiner Verantwortung bewußt geworden. Die Zeit auf dem Fluß und die allgemeine Zerrüttung nach der Pest hatte Martha etwas geschwächt, und in diesem Frühling hatte er sie überredet, bei ihnen zu wohnen. Als Vater von mittlerweile vier Kindern wußte er, daß es seine Pflicht war, die Führung zu übernehmen. Wenn ihm das nur alles leichter fiele. Nichtsdestoweniger handelte er nun entschlossen. Ein Freund, der in Shoreditch wohnte, hatte eingewilligt, sie aufzunehmen. Doch dann erklärte Martha plötzlich: »Ich will nachsehen, ob meine alte Freundin Mrs. Bundy in Sicherheit ist.«
    Er kannte diese gottesfürchtige Frau flüchtig und bot an, Martha zu begleiten. Als sie die Walbrook-Brücke überquerten, stiegen die Rauchschwaden schon über hundert Meter hoch in die Luft. Nach dem London Stone zeigte Martha auf eine schmale Straße, die nach rechts ging, und schritt mit resoluter Miene direkt auf das Feuer zu.
    Eine Erklärung für die unaufhaltsame Ausbreitung des Feuers fand man in dem Anblick, der sich ihnen bot. Die schmale Straße, die Häuser aus Holz und Mörtel (die Anordnungen, mit Ziegel und Stein zu bauen, blieben immer wieder unbeachtet), die oberen Stockwerke, die weiter in die Straße ragten, jedes ein Stückchen weiter als das untere, bis sie schließlich fast das gegenüberliegende Haus berührten – diese eng zusammengedrängten Holzgebäude waren mehr oder weniger eine riesige Zunderbüchse. Und noch schlimmer: Bei dem Versuch, das Feuer rasch zu löschen, hatte man die hölzernen Wasserrohre in der Straße aufgebrochen, um Eimer zu füllen, und das Wasser dann weiter herausschießen lassen; folglich waren nun alle Zisternen ausgetrocknet.
    Am seltsamsten fand O Be Joyful das Verhalten der Leute. Während die reicheren Bürger mit ihren Wertsachen aus der Stadt flohen, blieben die Armen, die nichts als das Dach über ihrem Kopf hatten, oft zusammengekauert in ihren Häusern sitzen.
    Das Mietshaus, das Martha suchte, lag auf halber Höhe der Straße, nur wenig vom Rand des Brandes entfernt. »Ich weiß, wo sie ist«, sagte Martha. »Halte du draußen Wache.« Sie trat in den Flur und verschwand die Treppe hinauf.
    Es war erschreckend, wie das Feuer sich weiterfraß, aber zugleich auch faszinierend. Der braungraue Rauch stieg nun wie eine große Mauer vor O Be Joyful auf; die Hitze war so groß, daß er die Hände vors Gesicht pressen mußte, und das furchtbare Prasseln und Tosen schlug an seine Ohren. Wo blieb Martha?
    Er rannte in den Hauseingang und rief Marthas Namen. Immer noch schreiend lief er die Treppe hinauf. Über ihm ein lautes Krachen. Weiß Gott, was dort oben passierte. Er rannte wieder die Treppe hinunter und zurück auf die Straße. »Martha!« schrie er. »Martha!«
    Dann sah er sie. Sie stand an einem kleinen Fenster unter dem Dach. Verzweifelt winkte er ihr zu, sie solle herunterkommen, und sie antwortete mit einem Zeichen, das er nicht verstand. War ihr der Weg abgeschnitten? Einen Augenblick später war er wieder auf der Treppe.
    Ein erneuter Krach. Oben stürzte ein Balkon herunter. Eine Rauchwolke hing vor ihm. Im obersten Geschoß explodierten Flammen. Keuchend blieb er stehen, dann verließ ihn der Mut. Er drehte sich um und floh. Von unten sah er wieder zu Martha hinauf. Ihr bleiches rundes Gesicht blickte zu ihm herab. Zum Herunterspringen war das Fenster zu klein. Rauch quoll unter den Dachtraufen hervor. Das Dach

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