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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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verwandelte sich in eine Fackel. Martha war nicht mehr da.
    Am Montag morgen wurde der Mayor von seiner Verantwortung für die Brandkontrolle entbunden. Der Wind war stark, der Brand hatte nun ein solches Ausmaß, daß er selbst Wind zu erzeugen schien. Das Feuer wurde nicht nur am Fluß entlang westwärts nach Blackfriars geblasen, sondern wälzte sich auch nach Norden und den östlichen Hügel hinauf. Früh am Morgen, kurz nachdem Julius überwacht hatte, wie die dritte Wagenladung mit Besitztümern das Haus verließ, und seine Familie angewiesen hatte, sich für die Rückkehr nach Bocton fertigzumachen, hörte er die gute Nachricht, daß Jakob, Herzog von York, der Bruder des Königs, mit einer Truppenabteilung in der Stadt angekommen war. Jakob war ein verläßlicher Kerl, ein Marineoffizier.
    Vielleicht konnte er die Ordnung wiederherstellen. Sobald Julius hinausging, sah er den Herzog, der seine Männer zum Ende der Watling Street führte. Sie waren dabei, ein halbes Dutzend Häuser mit Pulver zu sprengen. Julius ging hin, um dem Herzog seine Ehrerbietung zu erweisen.
    »Wenn wir diese Straße erweitern«, erklärte Jakob, »können wir vielleicht eine Feuerschneise bilden.« Sie wichen zurück und gingen in Deckung. Ein lautes Donnern. »Helft Ihr uns, Sir Julius?« fragte der Herzog. Und so fand sich Julius mit einem Lederhelm auf dem Kopf und einer Feueraxt in der Hand und riß zusammen mit dem Herzog und einem Dutzend ähnlich Gekleideter Mauern und Fachwerk ein. Als er auf einen arbeitenden Mann neben sich blickte, erkannte er plötzlich seinen König: »Sollte Eure Majestät so etwas tun?« fragte er.
    »Ich schütze mein Königreich, Sir Julius!« Der Monarch lächelte.
    Trotzdem hielt die Feuerschneise nicht stand. Der Brand hatte mittlerweile eine solche Gewalt, daß er eine Stunde später die Lücke überwand.
    Am Dienstag morgen ereignete sich das Schrecklichste. O Be Joyful beobachtete es vom Ludgate Hill aus. Sein eigenes Haus war am Montag nachmittag abgebrannt. Seine Familie war in Shoreditch. Abends stand die Londoner Warenbörse in Flammen; in der Morgendämmerung erfuhr man, daß St. Mary-le-Bow zerstört war. Er beschloß, sich die Sache selbst anzusehen, doch als er an die Stadttore kam, wurde er aufgehalten. Die Truppen ließen niemanden hinein. »Die Stadt ist ein Backofen«, erklärten sie. Das offene Gelände bei Moorfields diente als riesiges Feldlager für die ihrer Häuser beraubten Menschen. So war er an Smithfield vorbeigelaufen, wo an den Toren des St. Bartholomew Hospital ein weiteres kleines Lager aufgebaut war, und war schließlich nach Ludgate gekommen. Eine Menschenmenge war hier versammelt. O Be Joyful sah Doktor Meredith. Von angstvoller Ehrfurcht ergriffen starrten alle auf den Hügel.
    St. Paul's brannte nieder. Das riesige graue Gebäude, dessen langgestreckte Silhouette fast sechs Jahrhunderte über der Stadt aufgeragt war, das dunkle alte Gotteshaus, das seit den Tagen der Normannen auf dem westlichen Hügel Wache gestanden hatte und Sturm, Blitzen und den Verheerungen der Zeit getrotzt hatte – die alte Kirche St. Paul's stürzte langsam vor ihren Augen zusammen. O Be Joyful sah über eine Stunde lang zu. Dann ging er die Fleet Street entlang. Als er sich dem Temple näherte, sah er eine Gruppe Jugendliche, die einen jungen Burschen gegen eine Mauer drückten. »Knüpft ihn auf!« schrie einer von ihnen.
    Einen Augenblick lang zögerte O Be Joyful. Es waren nur Jugendliche, aber sie waren ein Dutzend und sahen kräftig aus. Er überquerte die Straße, um ihnen aus dem Weg zu gehen, als er den jungen Burschen aufschreien hörte. Beschämt blieb er stehen. Er hatte seiner Familie immer noch nicht erzählt, was Martha geschehen war. Von dem Augenblick an, als er aus der brennenden Straße zurückgelaufen war, hatte er sich gesagt, daß man nichts hätte tun können. Doch in Ludgate hatte er Meredith gesehen. Doktor Meredith, Sohn des Predigers; Meredith, der, anders als die meisten seines Berufes, während der Pest in London geblieben war und sein Leben riskiert hatte. Meredith, der sich, ohne irgendeine religiöse Berufung geltend zu machen, unerschrocken gezeigt hatte.
    Und was war er? Furchtsam. Selbst wenn Martha nicht hätte gerettet werden können – hatte er es denn wirklich versucht? Hatte er nicht den Mut verloren, als er diese Treppe hinuntergerannt war? Wenn er nun auf die andere Straßenseite ging, bewies er seine Schuld, kam es ihm plötzlich in den Sinn.

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