London
ist hier.«
Seufzend verließ Sir Julius ihn. Er ging zurück zu seinem Haus, nahm seine Pistolen und befahl seiner Familie, in die Kutschen zu steigen. Ein paar Minuten später fuhren sie die Watling Street in Richtung der London Bridge hinunter. Erst dann befahl er, daß seine Kutsche einen Augenblick anhalten sollte, denn es gab zumindest einen kleinen Dienst, den er seinem jungen Freund erweisen konnte.
Ned wedelte mit dem Schwanz, als er sah, wie Sir Julius erneut auf das Haus zukam, denn er wußte, das war ein Freund. Sir Julius streckte die Hand aus und zielte auf ihn. Ein lauter Knall, ein gewaltiger Schmerz in seiner Brust. Etwas Warmes in seinem Maul. Dann wußte Ned von nichts mehr. Nachdem Sir Julius Ned erschossen hatte, band er den Hund mit einem Stück Schnur an den Wagen und ließ ihn bis zum Fluß mitschleifen, wo er ihn dann hineinwarf. Sir Julius hatte keinen Zweifel, daß er richtig gehandelt hatte, obwohl er darüber traurig war. Die meisten vernünftigen Leute wußten, daß Hunde und Katzen die Ansteckung verbreiteten. Da Julius Meredith' Zuneigung zu dem Hund kannte, wußte er, daß er es nie übers Herz bringen würde, das Notwendige selbst zu tun. Zumindest konnte Ned seinen Herrn nun nicht anstecken. »Es war das mindeste, was ich tun konnte, um diesen tapferen jungen Mann zu retten«, sagte er.
»Der Hund war ein guter Rattenfänger«, bemerkte sein Sohn. »Meredith hatte keine einzige Ratte im Haus.«
»Richtig«, erwiderte Julius. »Aber nicht von Bedeutung.«
Mitte August lag die Sterbezahl bei viertausend pro Woche, Ende August bei sechstausend. Jeden Tag legte Richard Meredith seine große Lederuniform an und ging hinaus. Manchmal dachte er fast, er müsse in einer anderen Stadt sein. Die Straßen waren wie ausgestorben, alle Stände in Cheapside waren fort, die Häuser verschlossen. Der Hof war nach Salisbury im West Country gegangen. Ende Juli war ein Strom von Kutschen und Wagen aus der Stadt hinaus gerumpelt: Gentlemen, Kaufleute, selbst die wohlhabenderen Handwerker, alle wollten sich in Sicherheit bringen. Abgesehen von ein paar Ausnahmen blieben nur die Armen zurück.
Als Meredith von Kirchspiel zu Kirchspiel ging, sah er, daß die Vorschriften des Mayors verschärft worden waren. In dem Moment, da die Prüfer der Stadt die Pest in einem Haus bestätigten, wurde es verschlossen. Eine Wache hinderte jeden daran, das Haus zu betreten oder zu verlassen, ein schreckliches rotes Kreuz wurde auf die Tür gemalt, in der Regel mit den Worten: »Herr, erbarme Dich.« Nur ein Arzt, gekleidet wie er, konnte den Patienten dann besuchen. Wenn ein Haushalt meldete, er habe einen Leichnam, wurde die Todesursache geprüft, und bald kamen die Pestknechte mit ihren Karren, läuteten mit einer Glocke und riefen den alptraumhaften Satz: »Bringt Eure Toten heraus!«
Einige Kirchspiele, insgesamt fast ein Viertel, blieben verschont. Am letzten Augusttag traf Meredith bei St. Paul's einen Mann namens Pepys, den er schon einige Male bei Versammlungen der Royal Society gesehen hatte. Pepys war Sekretär der Admiralität und hatte Zugang zu Informationen aller Art. »Die wahre Zahl der Todesfälle ist höher, als die Sterbeliste zeigt«, erklärte ihm Pepys. »Die Schreiber fälschen die Berichte, manche der Armen werden nicht gezählt. Die Liste hat letzte Woche siebeneinhalbtausend gemeldet. Die wirkliche Zahl liegt eher bei zehntausend. Aber wenn Gott uns beide verschont, Dr. Meredith«, fügte Pepys hinzu, »werde ich vielleicht das Vergnügen haben, Euch eines Tages in der Royal Society einen Vortrag über die wahre Ursache der Pest halten zu hören.«
Tatsächlich hätte Meredith kein Thema mehr am Herzen liegen können. Während er von Haus zu Haus ging und ganze Familien im Fieberdelirium sah und in Todesqualen schreien hörte, empfand er ein schreckliches Gefühl der Hilflosigkeit. Er war Arzt, doch in Wahrheit konnte er nichts gegen die Pest tun. Wie konnte er ein Heilmittel empfehlen und seine Patienten schützen, wenn er nicht einmal wußte, wie die Krankheit übertragen wurde?
Man nahm an, daß die Menschen sich gegenseitig mit der Pest ansteckten; daher die Versuche, eine Quarantäne durchzusetzen. Sicher, wenn er in manche der meistbetroffenen Gegenden kam – Southwark, Whitechapel außerhalb Aldgates, die Straße hinauf nach Shoreditch, Holborn – und ganze Straßenzüge sah, in denen fast jedes Haus das gefürchtete Kreuz trug, schien das eine berechtigte Vermutung. Aber
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