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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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durch seinen Körper ging. Er ließ ein Handgelenk los und schlug ihr kräftig ins Gesicht. Dann packte er sie, hob sie hoch und warf sie aufs Bett; einen Augenblick später war er über ihr. »Jetzt werde ich dir zeigen, wer der Herr ist«, keuchte er.
    Trotz des Schmerzes erinnerte sie sich vor allem an sein Gesicht. Hinter seiner höflichen Maske erschienen Züge, die sie noch nie erblickt hatte. Grob, hart, unnachgiebig; das Gesicht der alten Bulls.
    Es war keine Vergewaltigung, aus dem einfachen Grund, weil es Gesetz und Brauch war, daß ein solches Wort nicht verwendet werden konnte, wenn das Opfer die Ehefrau war. Roh riß er ihr das Kleid herunter, öffnete seine Hosenklappe und stieß mit solcher Wut in sie hinein, daß sie aufschrie; wieder und wieder.
    Es tat weh. Auch ihr Gesicht schmerzte nach dem Schlag, und sie schmeckte Blut im Mund. Ebenso furchtbar wie der Schmerz war das Gefühl, geschändet und erniedrigt zu werden. Sie versuchte, zu kratzen und zu beißen und um sich zu schlagen, doch der große, schwere Mann über ihr hatte sie vollkommen in seiner Gewalt. Ihr Titel, ihr Haus, ihr Geld und nun auch ihr Körper, alles gehörte ihm, er war der Herr.
    »Von nun an wirst du mir zu Willen sein, wann ich es sage und wie ich es will«, erklärte er kalt, als er fertig war. Dann verließ er das Zimmer.
    Captain Jack Meredith saß auf der kleinen Holzbank in einer Zelle und zitterte vor Kälte. Im Licht eines tropfenden Kerzenstummels sah man fast jeden Riß in der alten Steinmauer. Seit zwei Stunden grübelte er über seine Lage nach und kam stets zum gleichen Schluß. Es gab keinen Ausweg.
    Er war im Clink.
    Es gab mehrere Gefängnisse für Schuldner; das nächstgelegene, in dem ein Platz frei war, war das Clink gewesen.
    Es war im georgianischen London keine Kleinigkeit, Schulden zu haben. Wenn die Gläubiger ein Urteil erwirkten, konnte man ohne Vorwarnung aufgegriffen und ins Gefängnis geworfen werden, und dort blieb man, bis die Schuld bezahlt war, manchmal für immer. Was konnte man im Gefängnis für ein Leben erwarten? Gerade diese Frage beschäftigte Jack Meredith, als er das Geräusch eines großen Schlüssels hörte, der sich im Schloß drehte. Der Mann, der die schwere Tür aufsperrte, hatte eine Laterne. Zuerst sah Jack die Nasenspitze. Als die Nase halb zur Tür herein war, wurde ihre einschüchternde Größe offensichtlich, und schließlich war der ganze riesige Vorsprung sichtbar, und dahinter zwei melancholische Augen. Die Perücke war so schmutzig, als habe man damit den Fußboden gewischt. Ein gebückter Mann stand vor dem Captain.
    »Ebenezer Silversleeves, Sir, zu Ihren Diensten. Ich bin der Aufseher des Clink.«
    Wie viele solcher Posten war auch dieser ererbt. Vor Ebenezer hatten sein Vater und Großvater ihre schäbige Amtsgewalt über das kleine Gefängnis ausgeübt. Als er nun sagte, er stehe Meredith zu Diensten, meinte er das auch, denn der Captain war genau die Art von Häftling, die er mochte.
    Wie in vielen Gefängnissen waren die Regeln des Clink einfach. Wenn man Brot und Wasser mochte, bekam man es. Wollte man etwas anderes, bezahlte man Ebenezer dafür. »Ach je, Sir«, war stets seine Einleitung. »Ein Gentleman wie Sie sollte nicht hier sein.« Er habe nebenan in den Überresten des alten Bischofspalastes ein ganz geräumiges Zimmer, erklärte er dann, das weit angemessener sei und das der Herr für ein oder zwei Shilling pro Tag haben könne. Natürlich werde der Gentleman auch ein anständiges Essen wollen, eine Flasche Wein. In ein oder zwei Tagen könne er es fast so bequem haben wie zu Hause, gegen ein Entgelt natürlich.
    Wie sollte ein verschuldeter Gentleman für solche Dinge bezahlen? Es war verblüffend, was Silversleeves arrangieren konnte. Wie katastrophal die Finanzlage der feinen Herren auch sein mochte, sie hatten doch zumeist Wertgegenstände bei sich. Eine goldene Uhr, einen Ring – Silversleeves verkaufte alles und brachte im Nu den größten Teil des Erlöses. Er konnte sogar jemanden in das Haus des Schuldners schicken, der den Gläubigern diskret kleinere Wertsachen vor der Nase wegschnappte. Gentlemen hatten zumeist auch Freunde, die zwar vielleicht nicht die Schulden bezahlten, aber oft für ein wenig Komfort während der Haft aufkamen. Der feine Rock konnte verkauft und durch einen einfacheren ersetzt werden, so daß man vom Erlös eine Weile leben konnte. Wenn auch die Perücke und die Kleider, die man auf dem Leib trug, verkauft waren, und

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