London
gehabt, bevor er dann eine aufregende Entdeckung gemacht hatte.
Eine Reihe von festlichen Ereignissen unterteilte das Jahr im georgianischen England, die meisten seit Jahrhunderten, doch während Harry Doggets Kindheit war eine neue Attraktion hinzugekommen: ein Bootsrennen Anfang August. Sechs Boote, jedes von einem einzigen Fährmann von der London Bridge flußaufwärts nach Chelsea gerudert, wetteiferten miteinander um den Preis eines reichverzierten Wappens und einer massiven Silberspange. Gründer der Veranstaltung war ein Schauspieler und Theaterleiter namens Thomas Dogget, und das vor allem fand Sep wunderbar. Sein eigener Familienname. Und dieses Dogget's Coat and Badge Race wurde von ganz London besucht.
»Hat das etwas mit uns zu tun?« hatte der fünfjährige Sep seinen Vater gefragt, als er das erste Mal mitgenommen wurde.
»'türlich. Mein alter Onkel Tom«, hatte der Händler fröhlich geschwindelt.
Harry hatte nicht die leiseste Ahnung, ob Thomas Dogget auch nur entfernt mit seiner Familie verwandt war, aber es belustigte ihn, den Jungen vor Stolz erröten zu sehen. Von diesem Augenblick an hatten der Fluß und die Fährmänner für Sep eine vollkommen neue Bedeutung erhalten. Straßenhändler mit eigenem Karren zu sein war prima, aber konnte man es vergleichen mit der Herrlichkeit des Flußlebens, wo die Doggets seinem Gefühl nach wirklich hingehörten? Er träumte nur noch davon, einer von diesen bunt gekleideten Männern auf dem Wasser zu werden. Und als er sich eines Tages seinem Vater anvertraute, wurde er von Harry ermutigt.
»Du könntest zugleich Feuerwehrmann sein«, erklärte er.
Die Versicherungsgesellschaften hatten Feuerwehren gegründet. Man hatte erkannt, daß der einfachste Weg, Ansprüche gering zu halten, darin bestand, Brände so rasch wie möglich zu löschen, und so hatte sich jede Gesellschaft einen eigenen Wagen mit Wasserfässern, Eimern und sogar primitiven Pumpen und Schläuchen angeschafft. Als Feuerwehrmänner heuerten die Versicherungsgesellschaften die Fährmänner auf der Themse an, die stets zu allem bereit waren. Oft sah Sep die farbig gekleideten Feuerwehrleute mit ihren Löschzügen durch die Straßen sausen.
Mit sieben Jahren wußte Sep, wohin er gehörte, nämlich in den Schoß der berühmten Familie Dogget; er wußte, daß er Feuerwehrmann werden würde, und er wußte bereits fast alles, was es über das Leben auf den Londoner Straßen und seine eigene Stellung zu wissen gab. Es gab nur eines, was er nicht wußte.
An einem frühen Morgen vor sieben Jahren hatte Harry Dogget seinen Karren auf die schmutzige Straße bei Seven Dials gezogen. Eine Woche zuvor war sein Sohn Sam geboren worden und würde Mrs. Dogget, die noch mehr zu trinken begonnen hatte, beschäftigen. Harry pfiff fröhlich, als er sich der Säule mit den sieben Zifferblättern näherte und das kleine Bündel bemerkte. Es lag hinter dem Geländer um die Säule und schrie.
Harry seufzte. Ein solches Bündel wie dieses war nichts Ungewöhnliches. Ungewollte Kinder waren an einem Ort wie Seven Dials ein Berufsrisiko, und was sollte ein lediges Mädchen auch tun? Vor kurzem hatte ein gewisser Captain Coram ein Heim für uneheliche Kinder gegründet, doch um ihr Kind dort unterzubringen, mußte die Mutter selbst kommen und sich rechtfertigen. Und selbst dann waren es so viele, daß man per Los entscheiden mußte, welche Kinder aufgenommen wurden. Harry brachte es nicht übers Herz, einfach vorbeizugehen. Das Kind war kein Neugeborenes, aber noch keinen Monat alt. Ein Junge, der ganz gesund wirkte. Harry runzelte die Stirn. Das Baby hatte eine kleine weiße Strähne im Haar, wie Sam. Und die Finger – noch ein. Kind mit feinen Schwimmhäuten? Konnte das Zufall sein?
Harry Dogget rief sich seine Seitensprünge ins Gedächtnis. Die Frau des Schusters. Aber er hatte sie seither oft gesehen, und sie war nicht schwanger gewesen. Das Mädchen aus der Bäckerei – nein. Die junge Frau, die er auf dem Obst- und Blumenmarkt in Covent Garden kennengelernt hatte. Zwei- oder dreimal hatten sie sich zusammen davongestohlen, vor zehn Monaten etwa. Dann war sie verschwunden. Hatte sie das Kind hierhergelegt? Noch einmal betrachtete er den Säugling genau, das Haar, die Finger, dann hob er ihn auf.
Er sprach offen mit seiner Frau, sagte ihr alles. Sie seufzte und sah sich das Kind an. »Er sieht genau wie Sam aus«, stimmte sie zu.
»Ich hab's nicht fertiggebracht, ihn da liegen zu lassen.«
»Freilich
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