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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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alle Freunde sich still davongemacht hatten, gab es immer noch die dunkle Zelle und eine Diät aus Wasser und Brot, so lange man das überlebte.
    Als Captain Meredith seinem Aufseher mitteilte, daß er im Augenblick kein Geld habe, war dieser keineswegs abgeschreckt. Kaum hatte Meredith seine Taschen ausgeleert, erspähte der hilfsbereite Ebenezer eine Metallscheibe. Es war eine Theatermarke, die den Besitzer zum Eintritt in das Theater von Covent Garden berechtigte. »Dafür könnte ich ein paar Pfund bekommen«, erklärte er und fragte, ob der Gentleman Verbindung zu seinen Freunden aufnehmen wolle.
    Meredith seufzte. Seit einer Stunde hatte er mit diesem Problem gekämpft. Sobald er das tat, war seine Erniedrigung öffentlich, und seine Chance auf ein Kartenspiel war dahin. Einen Brief jedoch mußte er schreiben, an Lady St. James. Die Frage war, wieviel er ihr mitteilen sollte? »Können Sie es einrichten, daß ein Brief diskret überbracht wird?« fragte er.
    Es hatte gerade elf Uhr geschlagen, als der Mann, der darauf gewartet hatte, daß Lord St. James ausging, an die Tür von Hanover Square 17 trat, kurz darauf in das Zimmer Ihrer Ladyschaft vorgelassen wurde und ihr den Brief übergab. Respektvoll wartete er, ob er eine Antwort mitnehmen solle.
    Lady St. James saß auf der Chaiselongue, ein Kissen im Rücken und eine Decke über den Knien. Unter ihren Augen waren dunkle Ringe. Nachdem ihr Mann sie am Abend zuvor verlassen hatte, hatte sie nicht nach ihrer Zofe gerufen, sondern sich selbst aus dem Krug auf dem Nachttisch ein Becken voll Wasser gefüllt und versucht, jede Spur ihres Mannes abzuwaschen. Dann hatte sie sich hingesetzt, zugedeckt und die Nacht so verbracht. Einmal hatte sie ganz leise geweint; mehrmals hatte sie Anfälle von Schüttelfrost. Sie fühlte sich körperlich und seelisch verletzt, doch allmählich erholte sie sich.
    Wenn ihr Mann dachte, sie würde sich unterwerfen, täuschte er sich. Doch was konnte sie tun? Ihn verlassen? Dann hätte sie fast kein Geld. Einen reichen Beschützer und Liebhaber finden? Leichter gesagt als getan, selbst für eine Schönheit der feinen Gesellschaft. Würde Captain Meredith mit ihr fliehen? Sie nahm an, er könnte es sich leisten, war aber nicht sicher, ob er es tun würde. Eines aber wußte sie: Sie würde es nicht einfach hinnehmen. Ihr Schock und ihre Verletztheit hatten sich in brennende Wut verwandelt. Als der Morgen kam, hatte sie ihren Zorn unter Kontrolle, doch er war tödlich. »Ich werde ihn vernichten wie eine Schlange«, schwor sie.
    Captain Jack Meredith' Brief brachte sie auf einen Gedanken. »Sagen Sie ihm, er solle sich ein paar Stunden gedulden«, beschied sie den Boten aus dem Clink. »Vielleicht kann ich ihm helfen.«
    Auch Sam Dogget hatte einen Gedanken. Anfang Mai war eine fröhliche Zeit. Am 1. Mai wurden die Maibäume aufgestellt. Lehrlinge zogen ihr Festtagsgewand an, Milchmädchen trugen Girlanden, und auf den Straßen hörte man Pfeifen, Trommeln und Leierkasten. Seit undenklichen Zeiten wurde nördlich von St. James ein großer Markt abgehalten, der unter dem alten Namen Mayfair bekannt war.
    Neuer, aber sehr sehenswert war der Umzug der Kaminkehrer, die dank der vielen prächtigen neuen Häuser nun eine eigene Zunft bildeten. Sam und Sep standen am Grosvenor Square und sahen dem Umzug zu, als Sam seine Idee hatte. Die Kaminkehrer waren ein lustiger Trupp. Am Werktag schmutzig und verrußt, waren sie am l. Mai sauber geschrubbt und trugen leuchtendweiße Hemden und Hosen. Jeder Kaminkehrer hatte einen oder zwei kleine Jungen bei sich, manche nicht älter als fünf oder sechs Jahre, die den Kamin hinaufklettern mußten, wenn der langstielige Besen nicht um eine Biegung kam. Eine schmutzige Arbeit; manchmal mußten sie, halb vom Ruß erstickt, an die zehn Meter in dem schwarzen Tunnel hinaufklettern. War der Kaminkehrer ihr Vater, ging es ihnen meist nicht allzu schlecht, doch waren sie Waisen oder von ihrer armen Familie zur Arbeit geschickt worden, behandelte man sie manchmal sehr roh. Doch oft hatte ein Hausbesitzer oder sogar einer der Dienstboten Mitleid mit den kleinen Kerlen und steckte ihnen eine Münze oder etwas zu essen zu. Wenn man schlau war, hatte Sam gehört, konnte man damit Geld verdienen. Und noch etwas fiel ihm ein. Die Kaminkehrer kamen in alle großen Häuser, in jedes Zimmer. Er grinste. »Sep, ich glaube, ich weiß, wie wir ein bißchen Geld machen können.«
    Das komfortabelste Zimmer im Clink war eine

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