London
radikalen Neigungen… das wird schließlich zu Geistesgestörtheit führen.«
»Sie werden ihn also unter Verwahrung nehmen können?« fragte Bocton.
»Oh, sicher, Mylord. Früher oder später.«
Mr. Cornelius Silversleeves war der stellvertretende Vorsteher des Bethlehem Hospital, das vor kurzem in ein neues Gebäude in Southwark umgezogen war. Im Volksmund wurde es Bedlam genannt.
Penny hatte Glück mit seinem Paten. Jeremy Fleming wohnte in einem hübschen alten Haus in einer Seitenstraße der Fleet Street, wo die Konditorei seines Großvaters gewesen war. Er war Witwer, seine Kinder verheiratet, und so freute er sich, Gesellschaft zu bekommen, und versicherte Eugene, er könne in seinem Haus leben, so lange er wolle. Und er war zuversichtlich, was Eugenes Aussichten betraf, in der Finanzwelt Arbeit zu finden, denn während seiner lebenslangen Arbeit als hochangesehener Angestellter der Bank von England hatte er ein enzyklopädisches Wissen über die Londoner City erworben.
Am ersten Tag zeigte Fleming Eugene den Tower und St. Paul's; am zweiten besichtigten sie Westminster und das Westend. »Heute beginnen wir mit deiner Ausbildung«, erklärte Fleming am dritten Tag. In einer Mietkutsche ließen sie sich nach Greenwich fahren. Ein frischer Ostwind wehte, und die Stadt hinter ihnen und die weite Flußbiegung lagen unter einem klaren blauen Himmel. Doch Fleming lenkte Eugenes Aufmerksamkeit auf eine Reihe von Wasserbecken, die sich wie riesige Teiche neben dem Fluß ausbreiteten. »Dort bei Wapping ist London Dock; links davon Surrey Dock; gegenüber ist die Westindiengesellschaft, ein bißchen weiter die Ostindiengesellschaft.«
In den letzten zwanzig Jahren hatte sich der Fluß verändert. Der Pool von London unterhalb des Towers war als Hafen so überlastet gewesen, daß etwas getan werden mußte. So hatte man in dem Sumpfland am Fluß ein Hafenbecken- und Kanalsystem angelegt und Kais und Fahrdämme gebaut. Es war der Beginn der gigantischen Anlage der Londoner Docklands, die notwendig wurden, je mehr sich das britische Empire zu einem Handelsimperium entwickelte: Zucker von den karibischen Inseln, Tee aus Indien – nach einigen brillanten Feldzügen herrschte England über große Teile dieses Subkontinents – und dazu der ausgedehnte Handel mit Europa, Rußland, Süd- und Nordamerika. Während der vergangenen hundert Jahre hatte sich London von einem wichtigen Hafen zur größten Handelsmetropole der Welt entwickelt.
»Nur unsere Marine macht das möglich«, erklärte Fleming.
Nach zwei Jahrhunderten der Auseinandersetzung mit Spanien, Holland und Frankreich hatten die Schiffe, die in König Heinrichs Werft bei Deptford ausgerüstet wurden, die englische Vorherrschaft auf den Meeren bekräftigt. Königin Elisabeths Freibeuter hatten Englands Handelsimperium begründet, Nelson und seine Nachfolger hatten es gesichert.
Ob der amerikanische Unabhängigkeitskrieg den Handel beeinträchtigt hatte, wollte Eugene wissen. Fleming zuckte die Achseln. »Nicht besonders. Im Grunde ist der Handel wie ein Fluß. Man kann versuchen, ihn einzudämmen, aber in der Regel sickert er durch. Eine Zeitlang war Tabak das große Geschäft, jetzt ist es Baumwolle. Dort wird sie angebaut, hier verarbeitet. Der Handel geht weiter.«
»Aber nicht immer«, meinte Eugene. Als Napoleon während der langen Auseinandersetzungen in fast ganz Europa seine Kontinentalsperre gegen England verhängt hatte, waren nur noch Schmuggler durchgekommen.
»Richtig«, stimmte Fleming zu, »aber dank unserer Seemacht konnten wir diese Flaute anderswo ausgleichen. Asien und Südamerika sind nun die aufstrebenden Märkte. Aber etwas konnte auch Napoleon nicht kontrollieren, Eugene – Geld. Während er Europa auf den Kopf gestellt hat, beeilte sich jeder, der Geld hatte, es zu Londoner Banken zu schicken – sogar die Franzosen! Der Korse hat uns zum Finanzzentrum der Welt gemacht!«
Am folgenden Nachmittag ging Fleming mit Eugene durch Cheapside zur Poultry. Vor ihnen, am Fuß von Cornhill, ragte die imposante Fassade der Londoner Börse auf; rechts stand ein prachtvoller klassizistischer Bau. »Das ist das Mansion House, der offizielle Sitz des Lord-Mayors«, erklärte Fleming. »Zu Lebzeiten meines Vaters erbaut.« Dann deutete er auf eine langgestreckte, schmucklose Mauer links von der Börse, durch die Threadneedle Street von ihr getrennt. »Das ist die Bank von England.« Ehrfürchtige Verehrung lag in seinem Ton.
Seit ihrer Gründung
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