London
einer Reihe von Landedelmännern führte, machte es, wie die meisten Privatbanken, sein Geschäft hauptsächlich mit Warenkrediten für Kaufleute im Im- und Export. Fabrikanten bekamen keine Kredite. Die Unternehmer der frühen industriellen Revolution brachten ihr Kapital auf, indem sie von Freunden liehen, manchmal auch mit Hilfe adliger Geldgeber, aber kaum je durch Banken. Kurzfristige Kredite für Frachten, Akkreditive, Diskontwechsel – davon lebten kleine Banken wie das Bankhaus Meredith.
Die Befürchtungen der City wegen des Goldstandards erwiesen sich als zum Teil berechtigt. Es war weniger Geld in Umlauf, Kredite waren knapp, die Aktienkurse niedrig. »Wir brauchen neue Kunden. Seht euch nach Fachhändlern um; die überstehen oft Krisen«, forderte Meredith seine Angestellten auf. Eugene hatte mehrere akquiriert, doch der riesige Zuwachs, an dem er seine Bank beteiligen wollte, kam von den großen Auslandskrediten an die Regierungen von Frankreich und Preußen und in letzter Zeit auch an südamerikanische Länder. Dieses lukrative Geschäft, das für eine Bank allein viel zu groß war, wurde von einem Konsortium abgewickelt; mehrere Banken übernahmen je einen Anteil, darunter auch die Bank Meredith.
»Das große Geld machen die Vermittlerbanken, die das Geschäft einfädeln«, erklärte Meredith, »weil sie auch Gebühren kassieren.« Führend in diesem Bereich waren die Banken Baring und Rothschild, da sie es mit ihren internationalen Verbindungen bewerkstelligen konnten, daß sich Banken in ganz Europa daran beteiligten.
Eugene verlor nie sein Ziel aus den Augen. Was war er wert? Diese Frage hörte man in der City tagtäglich. Abgesehen von der bescheidenen Summe, die er eines Tages von seinen Eltern erben würde, war die Antwort bisher: nicht viel. Dabei gab es zahlreiche Geschichten über ehrgeizige junge Männer, die sich in weniger als zehn Jahren Reichtümer erwarben und zu Geschäftspartnern gemacht wurden. Mit Börsenspekulation konnte man nebenbei etwas Geld machen, doch mit seinen sehr beschränkten Mitteln wußte er nicht recht, wie er anfangen sollte. »Termingeschäfte, Eugene«, belehrte ihn ein befreundeter Börsenmakler. »Ich zeige dir, wie das funktioniert.«
Es gab einen lebhaften Markt für Termingeschäfte. Statt Aktien oder Obligationen zu erwerben und zu behalten, konnte man vereinbaren, sie erst zu einem zukünftigen Datum zu kaufen, was in der Praxis bedeutete, daß man eine Wette darauf einging, welchen Preis die Aktie bis dahin haben würde. Wenn man jedoch einen anderen Käufer fand, konnte man diese Kaufoption zu einem höheren Preis verkaufen und den Gewinn einstecken, ohne eigentlich selbst Geld aufgebracht zu haben. Dieser Handel mit Optionen, die man später Derivate nennen sollte, hatte 1720 begonnen, zur Zeit der Spekulationskrise der South Sea Bubble. Obwohl seither formal verboten, wurde er doch tagtäglich praktiziert. Eugene fand bald heraus, daß dies ein guter Weg war, sich in das knifflige System, wie man Risiken taxieren konnte, einzuarbeiten. Er führte Buch über all seine Geschäfte, und nach einem Jahr hatte er nicht nur einen bescheidenen Profit erworben, sondern auch begonnen, Strategien zu entwickeln, wie man ein Risiko mit einem anderen kompensieren konnte. Doch gerade diese Erfahrung ließ in Eugene zum erstenmal ein Gefühl der Besorgnis aufkommen. Allmählich konnte er sich auch ein Bild der Aktivitäten seines Bankhauses machen. Er erstellte ein Verzeichnis ihrer wichtigsten Handelspartner und begann deren Unternehmen zu taxieren. Mit der Zeit kam er zu einer beunruhigenden Schlußfolgerung. »Ich bin nicht sicher«, sagte er zu Fleming, »aber wenn ein paar dieser Firmen Bankrott machen, dann, glaube ich, könnte auch das Bankhaus Meredith untergehen.«
»Aber du mußt davon ausgehen, daß der Earl of St. James hinter ihm steht«, tröstete Fleming. Jeder in der Bank wußte, daß Meredith' Großvater den Earl aufgezogen hatte, und aus Dankbarkeit hatte St. James Meredith bei der Gründung seiner Bank unter die Arme gegriffen.
Neben der Bank und der Warenbörse gab es in der City noch eine weitere aufstrebende Adresse für Geschäfte, nahe der Bank in einer kleinen Enklave namens Capel Court gelegen: die Aktienbörse, wo sich vor allem die Männer einfanden, die mit den unzähligen Staatsschuldscheinen handelten. Die Akteure in dieser Institution hatten wohl beschlossen, wie ewige Schuljungen zu leben; sie hatten sogar einen großen Stand, wo
Weitere Kostenlose Bücher