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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Finanzmännern: Sie waren alle für den Freihandel – solange er ihnen zupaß kam.
    Doch anscheinend wollte der Earl sich noch weiter auf Eugenes Kosten amüsieren. »Was ist mit dem Goldstandard, junger Mann?« bellte er. »Wie denken Sie darüber?«
    Wenn es im Jahr 1819 ein Thema gab, das in der City und im Parlament die Gemüter erhitzte, dann war es die Goldfrage. Wenn Banknoten ausgegeben wurden, entsprachen sie herkömmlicherweise einer bestimmten Menge an Goldbarren, gegen die sie stets umgetauscht werden konnten. Das beschränkte die Zahl der Banknoten, die im Umlauf waren, und hielt die Währung stabil. Doch zu Beginn des Konflikts mit dem revolutionären Frankreich brauchte die englische Regierung, vermittelt durch die Bank, so hohe Geldanleihen – und mußte daher so viele Schuldscheine ausgeben –, daß die Geldmenge, die am Londoner Markt in Umlauf war, enorm anwuchs. Am Ende der Napoleonischen Kriege wurden etwa neunzig Prozent der Staatseinnahmen von Zinszahlungen aufgefressen. Unter diesen Umständen gab es einfach nicht genug Goldbarren, um alle Banknoten zu decken, und daher hatte die Bank von England die Erlaubnis bekommen, Geld zu drucken, das keine Golddeckung mehr besaß.
    Diese Banknoten waren immer noch stabil. Hinter ihnen standen die große Glaubwürdigkeit der Bank und die Möglichkeit der Regierung, Geld durch Steuern zu beschaffen. Doch vielen gediegenen Tories erschien das Ganze wie ein Trick. »Wenn kein Gold hinter der Währung steht«, betonten sie, »wie können wir diesen Kerlen dann trauen, daß sie nicht Geldscheine drucken, wann immer es ihnen paßt?« Sie scherten sich nicht darum, daß sie damit die Integrität des Schatzkanzlers und der Direktoren der Bank von England beleidigten. Im Sommer 1819 hatten sie sich durchgesetzt. Das Parlament erklärte, daß man im Laufe der nächsten paar Jahre zum Goldstandard zurückkehren werde. Aber dabei gab es eine Schwierigkeit.
    »Gold ist stabil, Mylord«, erwiderte Eugene. »Aber ich glaube, eine zu plötzliche Rückkehr zur vollen Golddeckung ist gefährlich. Die Bank muß die Währungsmenge, die im Umlauf ist, reduzieren, damit sie wieder mit den Goldbarren übereinstimmt. Das bedeutet, daß die Preise sinken, wenn weniger Geld da ist. Alle Geschäfte werden dadurch geschädigt. Schlimmer, wenn all dies Geld vom Markt abgezogen wird, werden viele Kaufleute Schwierigkeiten haben, einen Kredit zu bekommen, der sie über Wasser hält. Das ganze System könnte zusammenbrechen.«
    Das war genau die Ansicht der City. Rothschild und andere Bankiers hatten das dem Parlament wiederholt vor Augen geführt. Der Zusammenbruch, den sie befürchteten, sollte einer späteren Epoche als klassische Wirtschaftskrise, verursacht durch Verringerung des Geldvorrats, nur zu bekannt werden.
    Eugenes Antwort entlockte dem Earl of St. James nur ein einziges Wort. »Beachtlich.«
    Eugene hatte sich im Gespräch soeben eine Stelle erobert.

1822
    Lucy war vier Jahre alt, als an einem kalten Dezembermorgen ihr Bruder geboren wurde. Zuerst dachten sie, er werde sterben. »Wir nennen ihn Horatio«, entschied ihr Vater. »Nach Nelson.« Vielleicht hofften sie, der Name des Helden werde dem Kind die Kraft zum Überleben verleihen, und es schien zu funktionieren. Einen Monat später sagte die Mutter zu Lucy: »Dieses Baby ist auch deines. Du wirst immer für es sorgen, nicht wahr?« Seither war Horatio auch ihr Kind.
    Tod und Elend waren den Doggets nicht fremd. William, der Vater der Kinder, war erst drei Jahre alt gewesen, als sein Vater Sep Dogget, der Feuerwehrmann, beim Einsturz eines brennenden Hauses umgekommen war. Williams Mutter war Seps zweite Frau und hatte ihr Bestes getan, um ihn allein großzuziehen. Sein älterer Halbbruder hatte geholfen, aber nicht viel, da er für seine eigenen Kinder sorgen mußte. Als junger Mann war William in das Kirchspiel St. Pancras gekommen, wo er zusammen mit seiner Frau, Lucy und dem kränkelnden Horatio, den beiden überlebenden von fünf Kindern, drei Zimmer bewohnte. Nicht einmal die Hälfte aller Kinder in London erreichte das Alter von sechs Jahren.
    Eugene führte bei Meredith ein schönes Leben. Die ersten beiden Jahre wohnte er in Meredith' Haus und besuchte an den Wochenenden manchmal seine Eltern in Rochester oder seinen Paten Fleming. Für Meredith' vier ausgelassene Kinder war er wie ein älterer Bruder, und insgeheim war er in die hübsche Mrs. Meredith verliebt. Obwohl das Bankhaus Meredith die Konten

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