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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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sagt, der König soll soviel ausgeben, wie er mag.« Das stimmte. Weil der Monarch ein Freund des Earls war, scherte er sich nicht darum, wieviel Geld er für den Palast verschwendete.
    Lucy würde sich immer an den Tag erinnern, als sie zum Lavendelhügel gingen. Es war angenehm warm, als sie die Tottenham Court Road hinabschritten. Lucy hatte eine Flasche Wasser und ein wenig Proviant in einem Tuch dabei. Nach jeder Meile durfte Horatio sich ein wenig ausruhen. Vor ein paar Jahren wäre es ein angenehmerer Spaziergang entlang der Themse gewesen, mit Holzlagerplätzen am Ufer zu ihrer Rechten und offenen Gärtnereien zu ihrer Linken. Nun standen hier kleine Fabriken, und statt der Gärten drängten sich Reihenhäuser für Arbeiter und Handwerker aneinander. Als sie die alte Mauer um den Lambeth Palace erreicht hatten, war es heiß geworden. Von hier aus hatten sie noch eine weite Strecke nach Vauxhall, wo es noch die alten Vergnügungsgärten gab. Eine Schnapsbrennerei und eine Essigfabrik am Ufer vor ihnen hatten den luxuriösen Anblick des Palastes jedoch zerstört. Als sie schließlich Vauxhall erreichten, bemerkte Lucy, daß Horatio zu hinken begann.
    Gerade nach dem Mittagsläuten kam Mary Penny an Vauxhall vorbei. Als der Gig die lange Straße nach Clapham hinaufrollte, bemerkte sie die beiden Kinder am Straßenrand. »Halten Sie an!« rief sie dem Kutscher zu. »Nehmen wir die Kinder mit, sie sehen so müde aus.« Einen Augenblick später thronten Lucy und Horatio neben der freundlichen Lady, die sich erkundigte, wo sie hinwollten. »Oh, genau dort wohne ich!« rief sie dann aus. »Es ist ein zauberhafter Ort. Und ihr wollt wieder den ganzen Weg nach St. Pancras zurückgehen? Denkt daran, daß ihr euch auf dem Lavendelhügel erst einmal gut ausruht.«
    Der Lavendelhügel am Nachmittag. Tausende von Lavendelbüschen überzogen die Abhänge mit einem blauen Schleier, über dem zahllose Bienen summten. Der Duft war überwältigend. Lucy wickelte ihren Proviant aus und legte Horatio das Tuch über den Kopf, um ihn vor der Sonne zu schützen. Zwei Stunden blieben die beiden Kinder hier und atmeten die warme, süße Luft ein. Lucy fühlte sich wie in einem Traum. Horatio döste ein wenig. »Gehen wir nun wieder heim zu Mutter«, sagte Lucy schließlich, »und bringen ihr ein wenig Lavendel mit.«
    Als sie am Rand des Feldes ankamen, sahen sie erstaunt den Ponywagen, der auf sie wartete. »Die Lady hat angeordnet, daß ich euch heimbringen soll«, erklärte der Kutscher. Auf dem Heimweg sangen die Kinder immer wieder das Lavendellied.
    1830 erwies sich als ein Jahr großer Umwälzungen. Die politische Ordnung in Europa nach der Restauration, die der Französischen Revolution und der Herrschaft Napoleons gefolgt war, war keineswegs stabil. Unter der Oberfläche wirkten immer noch die von den Franzosen freigesetzten Kräfte der Demokratie, und es kam in vielen Ländern zu Aufständen.
    In England war die Hausse der vergangenen Jahre zum Stillstand gekommen; die Ernte des vorhergehenden Jahres war katastrophal gewesen, und Wellingtons Korrektur der Getreidezölle war keineswegs weitgehend genug, um dem Problem abzuhelfen – der Brotpreis schnellte in die Höhe. Im Juni starb der König, ohne seinen extravaganten Palast vollendet zu haben; ihm folgte als Wilhelm IV sein Bruder nach, ein gutmütiger Seemann. Im Juli kam aus Frankreich die Nachricht, daß die Franzosen nach über einem Jahrzehnt unter der korrupten Herrschaft der restaurierten Monarchie revoltierten. Innerhalb von Tagen wurde eine neue liberale Monarchie errichtet. Wie immer blickte Europa auf Frankreich, und auch in Italien, Polen und Deutschland gab es Anzeichen für Revolten. Zu diesem Zeitpunkt begannen auch die Aufstände in England. Die sogenannten Swing-Aufstände brachen im Süden und Osten aus, wo die Preise für Grundnahrungsmittel in diesem Jahr besonders hoch waren. Die Aufständischen machten alles dafür verantwortlich: die Regierung, landwirtschaftliche Maschinen, die Grundbesitzer. Woche um Woche setzten sich die Unruhen von einem Dorf zum nächsten fort.
    Für Carpenter war das Jahr aufregend. In den ersten Monaten weckte eine Entwicklung im Norden Englands seine Neugier. Es gab dort mehrere Versuche, Organisationen kleiner Meister und Arbeiter zu Gewerkschaften zusammenzuschließen, die als Lobby Politiker für ihre Interessen beeinflussen konnten. Die Ziele dieser Gewerkschaften waren noch nicht klar. »Aber die Tatsache, daß sich

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