London
Menschen überhaupt organisiert zusammenschließen, kann langfristig nur Veränderungen bedeuten«, meinte er.
Den größten Auftrieb für seinen Kampfgeist brachte die Wahl, in der er mit seinem neuen Verbündeten Bocton kämpfte. Wenn der König starb und ein neuer folgte, wurde traditionell eine Wahl abgehalten. Es war keine sehr bedeutsame Sache, da es bei den meisten Sitzen keinen Gegenkandidaten gab. Der Sitz von St. Pancras jedoch war umkämpft. Ein redegewandter Anwalt, unterstützt von den Gentlemen der Kirchspielversammlung, kandidierte und rechnete mit einem Sieg. Die überraschende Kandidatur des sauertöpfischen Tories Bocton auf einer Reformplattform der Whigs schien eine widersinnige Störung.
Bocton und Carpenter arbeiteten eine einfache Taktik aus. Immer wenn der Kandidat bei einer öffentlichen Versammlung sprach, trat auch Bocton auf. Zuerst pflichtete er dem Kandidaten der Tories bei, dann erklärte er: »Aber es funktioniert nicht.« Im folgenden zeichnete er den Zuhörern ein furchterregendes Bild. Revolution in Frankreich, Gewerkschaften im Norden, Banden hungernder Landarbeiter, die über die London Bridge stürmten, und schließlich rief er: »Ich habe mein Leben lang die Interessen des Adels verfochten, aber ich sage Ihnen, so kann es nicht weitergehen. Reform oder Revolution. Sie haben die Wahl.«
Carpenters Reden vor seiner reformerischen und radikalen Wählerschaft ließen sich noch einfacher zusammenfassen: »Bocton ist ein Tory, aber er ist zur Einsicht gekommen. Stimmt für ihn.«
Carpenter hatte den Earl in den letzten Jahren seltener gesehen, jedoch bemerkt, daß der nun achtzigjährige St. James nicht mehr ganz der Alte war. Seine Hände waren rotblau geschwollen, und er blickte zunehmend reizbar drein. Bei einer von Boctons Reden sah Carpenter den Earl, der sich mit seinem Enkel im Publikum befand. Carpenter begrüßte den alten Mann. »Sind Sie gekommen, um Ihren Sohn zu unterstützen?« fragte er. »Bocton unterstützen? Diesen Verräter? Bestimmt nicht!« explodierte der Earl und stampfte davon, George im Schlepptau.
Bei der Wahl in St. Pancras erhielt Lord Bocton eine große Mehrheit, und auch für die meisten anderen umkämpften Sitze wurden Reformer gewählt. Dennoch blieb die Lage im Land unbeständig. Es gelang der Regierung nicht, die SwingAufstände unter Kontrolle zu bringen; die oppositionellen Whigs verspotteten sie Tag für Tag und erklärten, die Mittelschichten würden das nicht länger mitmachen. Der Herzog von Wellington blieb hart. Die einzige Konzession seiner Regierung war die Erlaubnis an bisher nicht zugelassene Hersteller, billiges Bier zu brauen, das die höheren Brotkosten kompensieren sollte.
Anfang November teilte der Herzog von Wellington kühl mit, in der nächsten Zukunft werde es mit ihm keine Wahlrechtsreform geben, und sogar ein paar Tories fanden, er gehe zu weit. Zwei Wochen später wurde die Regierung im House of Commons niedergestimmt, und Bocton teilte Carpenter mit: »Der König schickt nach den Whigs, Mr. Carpenter. Sie haben Ihre Reform.«
Für Lucy brachte das Jahr Kummer. Auch das warme Frühjahrswetter verbesserte Horatios Gesundheit nicht. An heißen Sommertagen kämpfte er sich jedoch so oft es ihm möglich war hinunter zur Themse und spazierte auf den Schlammbänken herum, während sie und Silas arbeiteten. Um ihm etwas Besonderes zu gönnen, nahm sie ihn einmal zur Bank mit, wo ein Mann mit Unternehmungsgeist im Sommer zuvor eine neue Form des Transports eingerichtet hatte: Ein großer Wagen mit zwanzig Sitzplätzen, gezogen von drei kräftigen Pferden, fuhr von der Bank bis in das westliche Dorf Paddington. Omnibus nannte man dieses Gefährt. Die Kinder fuhren für Sixpence bis an den Rand von St. Pancras zurück.
Horatio wurde zunehmend schwächer. Im Herzen wußte Lucy, daß er in ihrer dunklen Wohnung und im Londoner Nebel nie gesund werden würde. »Er muß fort von hier«, sagte sie zu Silas, obwohl sie den Gedanken, sich von ihm zu trennen, kaum ertragen konnte. Silas erwiderte nichts. »Fallen dir keine Verwandten oder Freunde ein, die ihm helfen könnten?« fragte sie mehrmals. »Nein«, lautete die Antwort stets.
Einmal fand Horatio an einem schönen Oktobertag im Schlamm fünf goldene Sovereigns. »Fünf Sovereigns!« Er lächelte. »Jetzt sind wir reich! Kannst du jetzt nicht aufhören zu arbeiten? Wenigstens für eine Weile?«
»Wir werden ein Festessen machen«, versprach sie statt dessen.
Die berühmteste
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