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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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er über seinem Bett ein großes Transparent gefunden: »Wahlrecht für Frauen«.
    »Ziemlich übel, wie?« fragte Bull.
    »Ich mußte mich mit einem der Jungen prügeln«, gab Henry zu. Man sah deutlich, daß er der Meinung war, die Sache sei keine Prügelei wert gewesen.
    Als Bull erklärte, er werde vier Schüler zum Tee einladen, gab es keinen Mangel an Bewerbern. Kein Junge in Charterhouse würde sich die Chance entgehen lassen, etwas zu essen zu bekommen. In einer Teestube bewirtete er sie großzügig.
    Zwanzig Jahre als Gutsherr von Bocton hatten Edwards ohnehin mächtiger Persönlichkeit eine festverwurzelte Autorität verliehen. Für die Schuljungen war der Grundbesitzer aus Kent eine ehrfurchtgebietende Gestalt. Er erzählte ein wenig, wie es in Charterhouse gewesen war, als er dort zur Schule gegangen war; entdeckte, daß der Vater eines der Jungen beim Jagdclub West Kent gejagt hatte, wo sein Sohn nun einer der Master of Foxhounds war, hob sich aber den geschicktesten Schachzug bis zum Ende des üppigen Tees auf. Er lehnte sich zurück. »Weißt du, Henry, ich vermisse deinen lieben Vater.« An die Jungen gewandt erklärte er: »Colonel Meredith war ein außergewöhnlicher Sportler. Er hat wahrscheinlich mehr Tiger erlegt als jeder andere Mann des britischen Empires.«
    Das war für die Jungen in der Tat ein Held. Bevor Bull aufbrach, schenkte er jedem eine halbe Crown und Henry eine ganze. Während dieses Schuljahres würde sein Enkel in der Schule keinen Arger mehr haben, vermutete er ganz zu Recht.
    Als Jenny Ducket ins Erdinnere hinunterstieg, fragte sie sich, was sie da eigentlich tat.
    Arnold Silversleeves hatte es knapp verpaßt, seinen Traum von einem elektrischen U-Bahn-System verwirklicht zu sehen. Gorham Doggets Schlußfolgerung, nachdem er ein Jahr lang versucht hatte, Kapital aufzutreiben – »Wir sind um zehn Jahre zu früh dran« –, hatte in etwa gestimmt. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts hatte nun ein anderer amerikanischer Unternehmer, ein Mr. Yerkes aus Chicago, den größten Teil der Londoner U-Bahn entwickelt und organisiert. Nun fuhren tief unter der Erde die elektrischen Züge.
    Von Hampstead brachte Jennys Linie sie zur Euston Station, dort stieg sie dann in eine andere Linie zur Bank von England um. Von dort aus konnte sie gehen.
    Mrs. Silversleeves ging nicht mehr sehr viel aus, aber wenn, dann gab es zwei Orte, die sie gern besuchte. Der eine war der Friedhof in Highgate, wo Arnold Silversleeves seinem Wunsch gemäß unter einem selbstentworfenen gußeisernen Grabkreuz beigesetzt war. Der zweite war die Tower Bridge, denn diese massive eiserne Maschinerie, an deren Hubbrücke er mitgearbeitet hatte, war für Arnold Silversleeves in seinen letzten Jahren eine solche Quelle des Stolzes gewesen, daß Esther erklärte: »Das ist das wahre Ehrenmal meines Mannes.« In der letzten Woche hatte sie sich jedoch nicht gut genug gefühlt und daher zu Jenny gesagt: »Fahren Sie für mich hin.« Und dabei hatte Jenny die Brüder Fleming getroffen.
    Liebe alte Mrs. Silversleeves. Jenny erinnerte sich noch lebhaft daran, wie sie in das große Giebelhaus gekommen war. Sie war so nervös gewesen, den neuen Namen Ducket und die Warnungen und Ermahnungen ihrer Großmutter Lucy noch im Ohr. Das Leben als Dienstmädchen war harte Arbeit. Oft verließ Jenny ihr kleines Zimmerchen unter dem Dach schon um fünf Uhr morgens. Als jüngste der Dienstboten hatte sie die schlechtesten Arbeiten, Kohleeimer nach oben tragen, Kamine ausräumen, Messing polieren und Fußböden schrubben. Abends sank sie erschöpft ins Bett. Aber verglichen mit dem Leben im Eastend war es der Himmel. Saubere Kleider, saubere Bettlaken, genug zu essen. Man erwartete, daß sie jeden Sonntag mit der Familie in die Kirche ging, aber dagegen hatte sie nichts. Und wenn sie anfangs nicht immer daran gedacht hatte, vor Mr. Silversleeves zu knicksen, wußte sie doch, daß das nur schicklich war. »Denn niemand von uns, Jenny«, erklärte Mrs. Silversleeves freundlich, »darf sich über seinen Stand erheben.«
    Nach und nach waren kleine Veränderungen gekommen. Zu Weihnachten gab es immer ein Geschenk. Mr. Silversleeves zeigte ihr, wie sie ihre kleinen Ersparnisse anlegen sollte, und vermehrte sie manchmal um eine Guinee. Während Jenny im Laufe der Jahre zum Hausmädchen und schließlich zur Zofe aufstieg, stellte sie fest, daß die alte Lady sie sehr gern hatte. Oft sagte sie: »Hier ist ein Seidenschal für Sie, Jenny, den Sie

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