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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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stärker, und danach wurde der eine Meile westlich gelegene alte Handelsstützpunkt bekannt als der alte Hafen – auld wie oder Aldwych. Doch dies lag noch weit in der Zukunft. Noch mehrere Generationen nach Cerdic blieb das von einer Mauer umgebene Londinium ein von der Siedlung getrennter Ort, in dem nur ein paar Kirchenbauten und vielleicht eine bescheidene Königshalle standen. Sicherlich gab es nur wenige Häuser auf dem westlichen Hügel, als Godivas Tochter als kleines Mädchen dort herumstreifte. Doch sie erinnerte sich später deutlich daran, daß sie damals immer wieder einmal einen fröhlichen Fischer sah, in dessen Stirn eine weiße Haarsträhne fiel. Dieser Mann ruderte stets von der südlichen Halbinsel aus mit einem kleinen Einbaum über den Fluß und lief dann in Begleitung seiner zahlreichen Kinder in den Ruinen der Stadt herum, den Blick aufmerksam zu Boden gerichtet. Doch es war eine recht verschlossene Schar. Godivas Tochter fand nie heraus, was sie eigentlich suchten.

DER EROBERER
1066
    AM SECHSTEN JANUAR, dem Fest der Heiligen Drei Könige im Jahr des Herrn 1066, versammelten sich die bedeutendsten Männer des angelsächsischen Königreichs von England auf der kleinen Insel Thorney in der Nähe des Hafens von London, um außergewöhnlichen Ereignissen beizuwohnen: Stigand, der sächsische Erzbischof von Canterbury; der Witan, der Königliche Rat; die Großen von London. Sie hatten zwei Wochen lang Wache gehalten.
    Sie trafen sich an einem höchst bemerkenswerten Ort. Seit vielen Generationen lebte eine bescheidene Mönchsgemeinschaft auf der kleinen Insel an der alten Furt. Ihre erste Kirche, die dem Heiligen Petrus geweiht war, war gerade groß genug für sie und ihre kleine Gemeinde gewesen. Doch nun stand ein neues Gebäude am Fluß. So etwas hatte es seit der Römerzeit in England nie mehr gegeben. Die neue, in einer Kreuzform und aus hellem Stein gebaute Kirche war auf einem breiten, von Mauern umgebenen Platz errichtet und stellte nun selbst die nicht weit von ihr entfernte alte St. Paul'sKathedrale in den Schatten. Weil das Kloster auf Thorney im Westen von London lag, war es als West Minster bekannt, und deshalb wurde diese neue, herausragende Örtlichkeit Westminsterabtei genannt.
    Am Weihnachtsmorgen, also vor zwölf Tagen, hatte der gebrechliche, weißbärtige König Eduard, dessen Lebenswerk die Abtei war, stolz darüber gewacht, wie der Erzbischof das neue Gebäude konsekrierte. Für sein frommes Werk sollte er als Eduard der Bekenner bekannt werden. Nun hatte seine Wache ein Ende. Sein Lebenswerk war fertiggestellt, und er konnte sich zur ewigen Ruhe begeben. An diesem Morgen wurde König Eduard in seiner Abtei beigesetzt, und als die großen Männer aus der Kirche heraustraten, wußten sie, daß die Augen der gesamten Christenheit auf ihnen ruhten.
    Vom päpstlichen Hof in Rom bis hin zu den Fjorden in Skandinavien war es ein offenes Geheimnis gewesen, daß der englische König im Sterben lag. Er hatte keinen Sohn. In diesem Augenblick stellte man sich an jedem Hof in der nördlichen Welt eine einzige Frage: Wer wird die Krone übernehmen?
    Die verhüllte Gestalt beobachtete die zwei Männer, die, ihre schweren Umhänge fest um sich gewickelt, draußen im Schutz der großen Abtei standen, still und unbemerkt. Es hieß, daß nichts ihre Freundschaft erschüttern könne, aber er glaubte dies nicht. Feindschaften dauern an, Freundschaften sind anfälliger, vor allem in solchen Zeiten.
    Ein leichter Schneefall hatte eingesetzt, als die Mitglieder des Witan sich auf den Weg zu der langen, niedrigen Halle am Flußufer machten, in der König Eduard residiert hatte und wo nun der neue König gewählt werden sollte. Knapp zwei Meilen entfernt konnte man jenseits des Sumpfgebietes, das sich an der großen Flußbiegung zu beiden Seiten des Ufers erstreckte, durch die fallenden Schneeflocken hindurch gerade noch die Stadtmauern Londons und das lange Holzdach der sächsischen St. Paul's-Kathedrale ausmachen.
    Der stämmige Mann zur Linken war in den Vierzigern. Sein dichter, blonder Bart machte sein schütter werdendes Haupthaar wett. Wie sein Vorfahre Cerdic, der vom alten Handelsstützpunkt aus, der inzwischen Aldwych hieß, Sklaven verschifft hatte, hatte auch er eine breite Brust, ein rundes, germanisches Gesicht und harte blaue Augen. Er wirkte sehr beherrscht und stand in dem Ruf, extrem bedächtig zu sein, was manche für eine Tilgend, andere für einen Nachteil hielten. Niemand hatte

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