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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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das er insgeheim in den letzten fünfundzwanzig Jahren gegen Becket gespielt hatte. Nun stand er kurz vor seinem vernichtenden Zug. Leofric der Sachse würde ihm hervorragende Dienste leisten.
    Und der Däne, dieser rotbärtige Halunke, der ihn beleidigt hatte? Nun, Barnikel war bislang nur eine Randfigur in seinem Spiel gewesen, ein einfacher Bauer, aber er konnte auch noch anders eingesetzt werden.
    Er lächelte noch immer, während Henri aufstand und zum Fenster ging. Er rief aufgeregt: »Vater, seht doch nur! Dort oben am Himmel!«
    In der letzten Stunde hatten sich die Wolken aufgelöst und den Blick auf eine kalte, sternklare Winternacht freigegeben, und mitten unter diesen Sternen zeigte sich nun etwas höchst Außergewöhnliches. Es hing still am Nachthimmel, mit einem langen, fächerartigen Schweif. In ganz Europa, von Irland nach Rußland, von Schottland bis zu den felsigen Gestaden Griechenlands blickten die Menschen voller Entsetzen und Erstaunen auf diesen großen Schweifstern und fragten sich, was dieser wohl bedeutete.
    Das Auftauchen des Halleyschen Kometen im Januar 1066 ist in allen Chroniken dieser Zeit belegt. Alle waren sich einig, daß der Komet ein Überbringer schlechter Nachrichten sei, ein großes Unheil ankündigte, das die Menschheit bald befallen würde. Vor allem auf der englischen Insel, die von so vielen Seiten bedroht wurde, hatte man guten Grund, sich zu fürchten.
    Der Junge mit der weißen Haarsträhne in seinem hellbraunen Haar blickte fasziniert zu dem großen Kometen hinauf. Er hieß Alfred, nach dem großen König. Er war vierzehn, und er hatte eine Entscheidung getroffen, die seinen Vater erzürnte und seine Mutter mit Trauer erfüllte. Sie zupfte an seinem Ärmel.
    »Du solltest nicht gehen! Dieser Stern ist ein Zeichen, Alfred. Bleib, wo du bist!«
    Alfred lächelte augenzwinkernd. »Glaubst du wirklich, daß Gott der Allmächtige diesen Stern geschickt hat, um mich zu warnen, Mutter?«
    »Das kann man nie wissen.«
    Er küßte sie. Sie war eine herzliche, einfache Frau, und er liebte sie sehr. Aber sein Entschluß stand fest. »Vater hat doch schon einen Sohn, der ihm in der Schmiede hilft. Es gibt doch hier nichts für mich zu tun.«
    Das harte Licht des Kometen fiel auf einen freundlichen Ort. Hier in der flachen, tiefliegenden Landschaft zwanzig Meilen westlich von London wand sich die Themse durch üppig grüne Wiesen und Felder, die nun im Sternenlicht frostig glitzerten. Eine gute Meile stromaufwärts lag Windsor, ein zum Königshof gehörendes Anwesen. In der Nähe ragte als einzige Erhebung ein Hügel am Flußufer empor wie ein Wachturm. In dieser hübschen Umgebung lebte die Familie, seit sie während der Herrschaft König Alfreds aus den nördlich von London gelegenen Wäldern vor den brandschatzenden Wikingern geflohen war. Sie hatte ihren Entschluß nie bereut, denn das Land war fruchtbar; hier ließ es sich gut leben.
    Und noch etwas machte ihnen das Leben angenehm. Der Vater erinnerte seine Kinder immer wieder daran: »Wenn wir Gerechtigkeit wollen, können wir uns an den König höchstpersönlich wenden. Vergeßt nie, daß wir frei sind!« Dies war sehr wichtig.
    Inzwischen war das Land der Angelsachsen im großen und ganzen ähnlich organisiert wie das übrige nordwestliche Europa. Das Land war in Grafschaften aufgeteilt, in denen es jeweils einen Verwalter gab, den Sheriff, der die Steuern für den König eintrieb und Recht sprach. Jede Grafschaft; war in Hundertschaften unterteilt, von denen jede hundert Hufe Land umfaßte. In jeder Hundertschaft gab es zahlreiche Anwesen, die kleineren Landbesitzern, den Thanes, gehörten. Die ansässigen Bauern unterlagen der Rechtsprechung der Grundherren, wie es auch auf den großen Grundbesitzen auf dem Kontinent der Fall war.
    Mit den Bauern hatte es im angelsächsischen England eine besondere Bewandtnis. Während die kontinentalen Bauern im allgemeinen entweder Leibeigene oder Freie Bürger waren, gab es in England eine verwirrende Vielfalt von sozialen und rechtlichen Bedingungen. Manche Bauern waren Sklaven, also reine Besitztümer. Andere waren Leibeigene, an das Land und einen Grundherrn gebunden. Wieder andere waren frei und zahlten nur eine Pacht. Manche waren halbfrei, zahlten aber Pacht, andere waren frei, schuldeten aber bestimmte Dienste, und dazwischen gab es noch viele andere Kategorien. Man saß auch nicht fest in einer Stellung. Ein Leibeigener konnte zu einem Freien werden, ein Freier, der zu arm war,

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