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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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hast du erlernt?« Alfred beantwortete auch diese Fragen. War er ein freier Mann? Ja. Wann hatte er das letzte Mal etwas gegessen? Hatte er bereits etwas gestohlen? Nein. Die Fragen regneten auf ihn herab, bis der riesige, rotbärtige Mann endlich ein Schnauben ausstieß, dessen Bedeutung Alfred nicht recht klar war.
    »Steh auf!«
    Er wollte dem Befehl nachkommen, doch seine Beine gehorchten ihm nicht, und er brach wieder zusammen. Da hob der Däne ihn mit seinen starken Armen einfach auf und warf ihn sich wie einen Sack Mehl über die Schultern. Und dann setzte der große Mann seinen Weg zum East Cheap fort.
    Bald darauf fand Alfred sich in einem Haus mit einem steilen Holzdach wieder. Er saß in der Halle vor einem riesigen Kohlenbecken, auf dem eine stille, grauhaarige Frau mit einem breiten Gesicht einen großen Topf Brühe erwärmte. Alfred blickte sich um. Alles hier in der Halle kam ihm groß vor, von dem großen Eichenstuhl bis hin zu den massiven Eichentüren. An der Wand hing eine mächtige Doppelstreitaxt. Der Däne stand auf der anderen Seite des Kohlenbeckens. »Wir werden dich füttern, junger Freund«, meinte er. »Doch dann mußt du wieder dorthin gehen, woher du gekommen bist, verstanden?«
    Alfred fand die Kraft, den Kopf zu schütteln. »Nein, Sir, ich werde nicht zurückgehen.«
    »Dann wirst du verhungern. Du wirst sterben, das weißt du ganz genau!«
    Die Frau teilte die Brühe aus und bedeutete Alfred, sich an den Tisch zu setzen.
    »Nun«, hörte er den großen Mann seine Frau fragen, »was hältst du von ihm?«
    »Was für ein armer kleiner Kerl!« sagte sie nur.
    »Das wohl, aber dennoch schlägt in der Brust dieses Jungen das Herz eines Helden«, meinte der Däne mit einem trockenen Lachen, »eines tapferen Helden!« Er klopfte Alfred auf den Rücken, so daß dieser beinahe in die Suppenschüssel fiel. »Und weißt du auch, warum? Weil er nicht aufgeben will. Und weil es ihm ernst ist.«
    Seine Frau seufzte. »Heißt das, daß ich ihn durchfüttern soll?«
    »Warum nicht?« rief Barnikel munter und wandte sich dann an Alfred. »Ich habe nämlich Arbeit für dich!«
    Den ganzen Sommer lang kreuzte die sächsische Flotte auf dem englischen Kanal, aber Wilhelm der Eroberer ließ sich Zeit.
    Für den jungen Alfred war diese gefährliche Zeit die glücklichste Zeit in seinem Leben. Rasch lernte er die Familie des Dänen kennen. Barnikels Frau war zwar streng, aber auch freundlich. Sie hatten sieben verheiratete Kinder und einen achtzehnjährigen Sohn, der noch bei ihnen lebte und demnächst Leofrics Tochter heiraten sollte. Er war ebenso stramm wie sein Vater, jedoch ruhiger als dieser. Er brachte Alfred viele Segelknoten bei.
    Dem Dänen schien es zu gefallen, mit dem jungen Burschen vom Land herumzuziehen. Von seinem Haus in der Nähe von All Hallows, einer sächsischen Kirche, blickte man auf die Grashänge, an denen die Raben wohnten. Jeden Morgen schlenderte er zusammen mit Alfred hinab zum Billingsgate, um die kleinen Schiffe und ihre Fracht – Wolle, Getreide oder Fisch – zu begutachten. Alfred mochte die Anlegestelle mit ihrem eindringlichen Geruch nach Fisch, Teer und Tang. Noch interessanter waren die Besuche zum Westhügel, auf dem Leofric wohnte. Der Junge genoß es, von St. Paul's aus über West Cheap zu laufen, wo in jeder der kleinen Gassen ein besonderer Handel abgewickelt wurde. Es gab die Fischerstraße, die Brotstraße, die Holzstraße und die Milchstraße, und am äußersten Ende des Marktes wurde Geflügel verkauft. Über den ganzen Markt ertönten die Rufe der Gewürzhändler, Schuster, Goldschmiede, Fellhändler, Weber und Korbmacher. Und überall gab es Verschläge, in denen Schweine hausten, was Alfred einigermaßen überraschte. Doch Barnikel erklärte ihm: »Die Schweine fressen den Abfall und halten den Ort sauber.«
    Dank Barnikel begann Alfred allmählich mehr von der Stadt zu verstehen. Vieles war noch sehr ländlich. Die Häuser füllten nicht den ganzen Raum innerhalb der Stadtmauern aus. Es gab Obsthaine und Felder. Um die Stadt herum lagen die großen Güter des Königs, seiner Minister und der Kirche, und auch innerhalb der Stadtmauern gab es solche Anwesen. »Die Stadt ist in verschiedene Verwaltungsbezirke aufgeteilt«, erklärte ihm der Däne. »Etwa zehn auf jedem Hügel. Manche dieser Bezirke sind Privatbesitz. Die Stadt ist so reich, daß sie wie eine ganze Grafschaft besteuert wird.« Stolz führte er all die Freiheiten auf, die die Stadt besaß:

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