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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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halten. Und dies war gefährlich. Wenn England angegriffen wurde und Harald verlieren sollte, dann würden viele Landgüter einschließlich seines eigenen wahrscheinlich vom Sieger konfisziert werden.
    Leofric blickte hinüber in die Ecke, wo seine Frau und sein Sohn im Schatten saßen. Wenn nur der kleine Edward schon zwanzig wäre, alt genug, um eine gute Heirat zu machen und für sich selbst aufzukommen, anstatt erst zehn! Wenn nur für die Tochter nicht eine Mitgift bereitgestellt werden müßte! Wenn er nur nicht so viele Schulden hätte! Wie sehr ihm der Junge bereits jetzt schon ähnelte. Wie konnte er nur den Landsitz für seinen Sohn erhalten?
    Und nun diese seltsame Botschaft. Wieviel wußte der langnasige Normanne über seine Geschäfte? Und warum wollte dieser Kerl ihm helfen? Leofric waren moralische Probleme unbekannt. Für den Sachsen war eine Entscheidung entweder richtig oder falsch, nicht anders, als seine Vorfahren mit solchen Dingen umgegangen waren, und damit hatte sich die Sache. Aber das anstehende Problem war nicht so leicht zu lösen. Konnte er ernsthaft erwägen, Hilda zu opfern, um seinen Landsitz für seinen Sohn zu retten? Viele Männer würden selbstverständlich so handeln. In ganz Europa waren Tochter in allen Gesellschaftsschichten nur eine Art Schacherware.
    »Ich brauche vielleicht deine Hilfe.« Damit fing er an. Er sprach eine ganze Weile mit leiser Stimme, und sie hörte ihm ruhig zu. Als er fertig war, erwiderte sie nur sanft: »Ich werde alles tun, was Ihr wünscht, Vater, wenn ich Euch damit helfen kann.«
    Bedrückt dankte er ihr und schickte sie wieder weg. Nein, beschloß er dann, er konnte es nicht tun. Es mußte einen anderen Weg geben. In diesem Moment unterbrach die Stimme eines Nachbarn seine Überlegungen. »Leofric, kommt nach draußen, und seht Euch das an!«
    Im Kerzenschein warf seine lange Nase einen Schatten auf das karierte Brett vor ihm. Seine Gedanken kehrten zu den Ereignissen dieses Nachmittags zurück. Er hatte seine Züge gut geplant, jede Eventualität bedacht. Nun mußte er nur noch ein Weilchen warten. Ein klein wenig Geduld konnte er sich gut leisten, schließlich wartete er bereits seit fünfundzwanzig Jahren. »Du bist dran!« meinte er, und der junge Mann ihm gegenüber griff nach seiner Spielfigur.
    Die zwei Söhne ähnelten ihrem Vater. Beide waren sie schwermütig und mit dem harten Erbe der Familiennase belastet. Doch Henri hatte, anders als der etwas größere, schwerfälligere Ralph, auch den Verstand seines Vaters geerbt. Ralph trieb sich irgendwo in der Stadt herum, wahrscheinlich in einer Spelunke. Henri machte seinen Zug.
    Die Halle, in der diese Schachpartie stattfand, war im sächsischen London fast einzigartig, denn sie war aus Stein errichtet. Sie lag unterhalb von St. Paul's, auf dem Gipfel des steilen Hangs, der an der Themse endete. Dies war Londons nobelstes Viertel, in dem viele bedeutende Kirchenleute und Edelmänner ihren Wohnsitz hatten.
    Ein Vierteljahrhundert war verstrichen, seit er aus Caen, der Stadt in der Normandie, in der seine Verwandten angesehene Kaufleute waren, nach London gekommen war. So ein Umzug war nichts Ungewöhnliches. An der Mündung des Baches, der zwischen den beiden Hügeln der Stadt floß, gab es zwei befestigte Piers. An der Ostseite lag der Pier der germanischen Kaufleute, an der Westseite der der französisch sprechenden aus normannischen Orten wie Rouen oder Caen. Diese Fremden, die sich vor allem im Weinhandel betätigten, genossen viele gewerbliche Vorteile, und einige von ihnen ließen sich für immer in London nieder und wurden zu Vollbürgern der Stadt.
    Wäre er geblieben, wenn er nicht in Caen das Mädchen verloren hätte? Wahrscheinlich nicht. Er hatte sie von klein auf geliebt. Was hatte er an ihr geliebt? Ihre kleine Stupsnase, die so anders war als sein eigenes Ungetüm? Nach all den Jahren konnte er sich nur noch an sie erinnern, wenn er an die kleine Nase dachte, doch tief in seinem Inneren war auch noch eine Erinnerung an den Schmerz. Und das Mädchen an Becket zu verlieren! Wann seine Familie eigentlich angefangen hatte, diese Kaufmannsrivalen zu hassen, wußte er nicht mehr genau, doch es war schon zu Lebzeiten seines Großvaters so gewesen. Nicht nur, daß die anderen impulsiv, lebhaft, klug und charmant waren; sie waren auch hart und egoistisch bis ins Mark, und diese Charakterzüge hatte seine Familie zu hassen gelernt.
    Die Kleine war sein gewesen, bis er eines Tages zufällig

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