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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Handelsrechte, Fischereirechte auf vielen Meilen der Themse, Jagdrechte über ganz Middlesex und noch andere Rechte.
    Und noch etwas beeindruckte Alfred sehr, was er eine Weile gar nicht in Worte fassen konnte, bis eines Tages der Däne in einer zufälligen Bemerkung die richtigen Worte dafür fand. »Das Meer reicht bis an die Stadtmauern von London«, sagte Barnikel. Ja, dachte der Junge, das ist es.
    Die große, von einer Stadtmauer umgebene Siedlung war seit vielen Generationen eine Heimat für Seefahrer und Händler aus der ganzen nördlichen Welt. Obwohl sie der Autorität der sächsischen oder dänischen Könige unterstanden, organisierten diese Männer doch auch ihre eigenen Gilden, um den Handel und die Verteidigung zu regeln. Sie wußten, wie wichtig sie für den König waren, und dies wurde auch anerkannt. Ein großer Kaufmann wie Barnikels Großvater, der dreimal zum Mittelmeer reiste, war zum Edelmann gemacht worden. Drei Generationen von Barnikels hatten der Stadt als Offiziere in der Verteidigungsgilde gedient, die eine furchterregende Truppe aufstellen konnte. Die Mauern der Stadt waren so stark, daß sogar König Knut sie respektiert hatte. »Kein Angreifer kann London einnehmen!« brüsteten sich die angeldänischen Kaufmannsbarone gerne. »Und keiner wird ohne unsere Zustimmung König.«
    Und auch dies spürte Alfred – den Stolz der Londoner. »Die Bürger Londons«, erklärte der Däne, »sind frei.«
    Wenn ein Leibeigener sich in eine Stadt flüchtete und dort unbehelligt ein Jahr und einen Tag lebte, dann war er einer alten englischen Sitte zufolge frei. Natürlich gab es auch Leibeigene oder sogar Sklaven in den Haushalten der reichen Grundherren und Kaufleute, doch die meisten Lehrlinge waren wie Alfred frei. In London hatte dieser Begriff noch eine andere Bedeutung, fand Alfred allmählich heraus. Ein Kaufmann, der seine Zulassungsgebühren bezahlte, oder ein Handwerker, der seine Lehrzeit beendet hatte, wurde zum freien Stadtbürger und hatte somit das Recht zu handeln, ein kleines Geschäft zu betreiben, Waren zu verkaufen und am Folkmoot seine Stimme abzugeben. Dem König wurden Steuern entrichtet, und alle anderen, ob sie nun aus der nächsten Grafschaft oder von der anderen Seite des Kanals kamen, waren Fremde und konnten in der Stadt solange nicht Handel treiben, bis ihnen die Bürgerschaft verliehen wurde. Es war also kein Wunder, daß die Londoner stolz auf ihre Freiheit waren.
    Eines Morgens – es war etwa eine Woche vergangen, und Alfred war wieder voll bei Kräften – sagte Barnikel zu dem Jungen: »Heute beginnt deine Lehrzeit.«
    Das Viertel, zu dem der Däne ihn nun brachte, lag außerhalb der östlichen Stadtmauer. Hier floß ein kleiner Bach in die Themse, an dessen Ufern sich zahlreiche Werkstätten angesiedelt hatten. Es war eine geschäftige Gegend, die von der Verteidigungsgilde der Stadt kontrolliert wurde. Sie näherten sich einem langgestreckten Holzhaus, und Alfred hörte das vertraute Geräusch eines Hammers auf einem Amboß. Er nahm an, daß er zu einem Schmied in die Lehre gehen sollte. Doch als sie eingetreten waren, erkannte er, daß es sich um eine Waffenschmiede handelte.
    Für einen Jungen, der in einer Schmiede aufgewachsen war, war ein Waffenschmied der König dieses Handwerks. Alfred starrte sprachlos auf all die Kettenhemden, Helme, Schilder und Schwerter.
    Der Meister des Betriebs war ein großer, kantiger Mann mit vorgebeugten Schultern. Seine sanften blauen Augen wirkten freundlich, doch als er die merkwürdigen Schwimmhäute zwischen den Fingern des Jungen bemerkte, fragte er Barnikel zweifelnd: »Kann er denn diese Arbeit machen?«
    »Das kann er«, antwortete der Däne fest überzeugt. Und so begann Alfreds Lehrzeit.
    Es war eine glückliche Zeit, auch wenn Alfred als jüngster Lehrling die niedrigen Arbeiten machen mußte – er holte Wasser vom Fluß, hielt das Feuer in Gang und betätigte die Blasebälge. Es war üblich, den Lehrlingen nichts zu bezahlen, ihnen aber Kost und Unterkunft im Haus des Meisters zu gewähren, doch der Waffenschmied war verwitwet und schätzte diese Regelung nicht. Am Cornhill lebte seine Schwester. Hinter ihrem Haus lagen mehrere Nebengebäude, in denen die Lehrlinge untergebracht waren. Es gab neben Alfred acht weitere Lehrlinge verschiedenen Alters. Alfred beobachtete sie genau und sah bald, daß der eine ungeschickt mit dem Hammer umging, der andere die Zangen zu fest hielt und wieder ein anderer nicht recht mit

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