Lonely Planet Reiseführer Berlin
Franz Schwechtens Anhalter Bahnhof und die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche (heute Ruinen), beide neoromanische Bauwerke, sowie die neobarocken Bauten der Staatsbibliothek zu Berlin und des Bodemuseums von Ernst von Ihne.
Während sich im Norden, Osten und Süden des Stadtzentrums ärmliche Arbeiterviertel ausdehnten, wurde der Westen Berlins (Charlottenburg, Wilmersdorf) von keinem anderen als dem „Eisernen Kanzler“ Otto von Bismarck selbst für das Bürgertum erschlossen. Er ließ den Kurfürstendamm verbreitern und ihn und seine Nebenstraßen mit attraktiven Stadthäusern bebauen. Diese waren wie die Mietskasernen vier bis fünf Stockwerke hoch und um einen Innenhof angelegt, aber weiter gingen die Ähnlichkeiten nicht. Die Innenhöfe waren groß und ließen viel Licht in die geräumigen Wohnungen mit bis zu zehn Zimmern. Einige davon beherbergen heute bezaubernde Altberliner Pensionen, wie die Hotel-Pension Funk oder das Hotel Askanischer Hof.
Die High Society zog sogar noch weiter westlich, weit weg vom Gedränge der Innenstadt. Die Villenkolonien im grünen Grunewald und Dahlem sind eine weitere Hinterlassenschaft Bismarcks und gehören noch heute zu den vornehmsten Wohngebieten.
PREUßENS BAUMEISTER: KARL FRIEDRICH SCHINKEL
Der bedeutendste und vollendetste Architekt des deutschen Klassizismus, Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) studierte Architektur unter Friedrich Gilly und dessen Vater David an der Bauakademie in Berlin. Er setzte seine Ausbildung während eines zweijährigen Aufenthalts in Italien (1803–1805) fort, um die klassische Architektur aus nächster Nähe zu studieren. Als er zurückkehrte, litt Preußen unter der napoleonischen Besatzung. Da Schinkel seine Kunst nicht mehr ausüben konnte, hielt er sich als romantischer Maler, Möbeldesigner und Bühnenbildner über Wasser.
Kaum waren die Franzosen aus Berlin abgerückt, kam Schinkels Karriere in Schwung. Als preußischer Beamter brachte er es vom einfachen Landvermesser bis zum Oberbaumeister für das gesamte Königreich. Er reiste unermüdlich durchs Land, entwarf Gebäude, beaufsichtigte Bauarbeiten und entwickelte sogar Richtlinien für den Denkmalschutz.
Trotz seiner Italientour ließ sich Schinkel mehr von der klassischen griechischen Architektur inspirieren. Von 1810 bis 1840 prägten seine Vorstellungen entscheidend Preußens Architektur, und Berlin wurde sogar als „Spree-Athen“ bezeichnet. In seinen Bauten strebte er nach dem vollkommenen Gleichgewicht zwischen Funktionalität und Schönheit, das er durch klare Linien, Symmetrie und unfehlbaren ästhetischen Spürsinn erreichte. Schinkel fiel 1840 in ein Koma und starb ein Jahr später in Berlin.
STEFANO AMANTINI / 4CORNERS ©
Staatsbibliothek zu Berlin am Bebelplatz
Während des Industriezeitalters explodierte die Berliner Bevölkerung. Zwischen 1858 und 1875 verdoppelte sie sich auf 969 050 Einwohner und hatte sich 1905 erneut verdoppelt, was den Bedarf an immer neuem, billigem Wohnraum weiter anschürte.
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DIE GEBURT DER MODERNE
Während die meisten Architekten des späten 19. Jhs. noch in die Vergangenheit blickten, schafften es ein paar progressive Architekten, sich durchzusetzen, hauptsächlich im Industrie- und Gewerbebau. Der wichtigste Wegbereiter war Peter Behrens (1868–1940), den manche den „Vater der modernen Architektur“ nennen. Spätere Größen der Moderne, wie Le Corbusier, Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe, waren Schüler von Behrens. Eines seiner frühesten Werke, die AEG Turbinenhalle von 1909 in der Huttenstraße 12–14 in Moabit, ist eine luftige, funktionale und lichtdurchflutete „Industriekathedrale“ und gilt als Ikone der frühen Industriearchitektur.
Nach dem Ersten Weltkrieg lockte der innovative Schwung der 1920er-Jahre einige der besten Architekten der Avantgarde nach Berlin, darunter Bruno und Max Taut, Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe, Erich Mendelsohn, Hans Poelzig und Hans Scharoun. 1924 bildeten sie ein Architektenkollektiv namens „Der Ring“, das sich zum Ziel gesetzt hatte, mit der traditionellen Ästhetik zu brechen (besonders mit dem wenig originellen Historismus) und sich für eine moderne, erschwingliche und sozial verantwortliche Bauweise einzusetzen.
UNGEWÖHNLICHES WOHNEN FÜR GEWÖHNLICHE LEUTE
Architektonisch könnten die Museumsinsel, Schloss Sanssouci und die Hufeisensiedlung in Neukölln nicht unterschiedlicher sein. Und doch haben sie eines gemeinsam:
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