Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Long Dark Night

Long Dark Night

Titel: Long Dark Night Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ed McBain
Vom Netzwerk:
geliehenen Limousine transportierte, in gewisser Weise ein Vogelliebhaber sein mußte. Also überprüften sie das Dach des Gebäudes erneut, und da war er auch. Er saß mit dem Rücken an der Seitenwand seines Taubenstalls. Als sie das letztemal hier waren, war die Dämmerung eines kalten Sonntag morgens schnell heraufgezogen. Jetzt, an einem noch kälteren Montag morgen, war der Sonnenaufgang noch etwa vier Stunden entfernt, und sie waren der Antwort auf die Frage, wer Svetlana Dyalovich getötet hatte, kein bißchen näher als am Samstag abend. Es hatte auch nicht den Anschein, als würde Santiago ihnen dabei helfen können. Santiago weinte. Außerdem war er sturzbetrunken.
    »Jose Santiago?« fragte Hawes.
    »Das bin ich«, sagte Santiago.
    »Detective Cotton Hawes, 87. Revier.«
    »Mi qusto«, sagte Santiago.
    »Das ist mein Partner, Detective Carella.«
    »Igualmente«, sagte Santiago, hob die Flasche mit Don-Quijote-Rum an die Lippen und trank einen ordentlichen Schluck. Hier oben waren es mindestens zwei Grad unter Null, aber er trug bloß Blue Jeans, ein weißes Hemd und einen pinkfarbenen Baumwollsweater mit V-Ausschnitt. Carella schätzte ihn auf Anfang Dreißig. Er war ein schlanker Mann mit schwarzem, lockigem Haar, blasser Haut und feingeschnittenen Zügen. Seine braunen Augen schienen durch alles hindurchzusehen, außerdem waren sie feucht, da er noch immer weinte. Die Detectives hatten sich kaum vorgestellt, als er sie auch schon wieder vergessen zu haben schien. Als sei er auf dem Dach ganz allein, schüttelte er den Kopf, schluchzte noch bitterlicher und drückte die Rumflasche an die schmale Brust, wobei sich die Knöchel der Finger, die den Flaschenhals hielten, weiß verfärbten. In der Eiseskälte dampfte sein Atem hell in die Nacht hinaus.
    »Was ist denn los, Jose?« fragte Hawes leise.
    »Ich habe ihn umgebracht«, sagte Jose.
    Die Tauben hinter Santiago gaben keinen Laut von sich, und unwillkürlich fühlten die beiden Detectives, wie in der Stille der Nacht Anspannung von ihnen Besitz ergriff. Aber der Mann, der gerade einen Mord gestanden hatte, kam ihnen völlig harmlos vor, wie er dort schluchzend saß und die Flasche an die Brust gedrückt hielt, während ihm heiße Tränen die Wangen hinunterliefen und sofort erkalteten.
    »Wen haben Sie umgebracht?« fragte Hawes.
    Und noch immer der leise, sanfte Tonfall. Die Nacht war dunkel. Carella stand neben ihm, schaute auf den schluchzenden Mann in dem pinkfarbenen Baumwollsweater herab, einem für die Jahreszeit lächerlichen Kleidungsstück, wie er mit angezogenen Knien dort saß, den Rücken an den stillen und dunklen Taubenstall gelehnt.
    »Sagen Sie uns, wen Sie umgebracht haben, Jose.«
    »Diablo.«
    »Wer ist Diablo?«
    »Mi hermano de sangue.«
    Mein Blutsbruder.
    »Ist das sein Straßenname? Diablo?«
    Santiago schüttelte den Kopf.
    »Ist das sein richtiger Name?
    Santiago nickte.
    »Diablo wie?«
    Santiago setzte die Flasche wieder an, trank noch mehr Rum, hustete, schluchzte, hustete wieder. Die Detectives warteten.
    »Wie ist sein Nachname, Jose?«
    Hawes hatte die Frage gestellt. Carella sagte nichts. Er stand einfach nur da, während seine rechte Hand an der Stelle unter seinem Mantel verschwand, wo drei Knöpfe in Taillenhöhe nicht verschlossen waren. Er mochte, wie er so mit der Hand im Mantel dastand, irgendwie an Napoleon erinnern, aber seine Finger waren nur Zentimeter von seinem Halfter und dem Griff des Detective Specials vom Kaliber .38 entfernt. Santiago sagte kein Wort.
    Hawes versuchte es auf eine andere Weise. »Wann haben Sie diesen Mann umgebracht, Jose?«
    Keine Antwort.
    »Jose? Können Sie uns sagen, wann das passiert ist?« Santiago nickte. »Also wann?«
    »Freitag abend.«
    »Vergangenen Freitag?« Santiago nickte wieder.
    »Wo? Können Sie uns das sagen, Jose? Können Sie uns erzählen, was passiert ist?«
    Und dann, in der schneidenden Kälte der Nacht, begann Santiago mit seiner unzusammenhängenden, wirren Erklärung in Englisch und Spanisch, sagte ihnen, daß es seine Schuld war. Es wäre nie passiert, hätte er es nicht zugelassen. Er hatte Diablo in den sicheren Tod geschickt, so als hätte er ihm selbst mit einem Messer die Kehle durchtrennt. Er schluckte Rum, ließ ihn auf die Brust dieses absurden Baumwollsweaters tropfen und erzählte ihnen, mit zitternden Händen, daß er immer wie ein Bruder für ihn gesorgt hatte. Sie waren Partner gewesen, er hatte nie etwas getan, um ihm zu schaden, niemals.

Weitere Kostenlose Bücher