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Long Reach

Long Reach

Titel: Long Reach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Cocks
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genützt hätten.
    Ich holte mir mein Notizbuch, in der Hoffnung, dass meine Nerven sich beruhigen würden, wenn ich etwas davon niederschrieb. Dass ich mir damit irgendwie würde klarmachen können, wie es dazu gekommen war: eine weitere Leiche, entsorgt bei Long Reach, diesmal mit meiner Beteiligung.
    Als die Sonne aufging, knackte ich endlich weg. Ich schlief den ganzen Tag und den größten Teil der folgenden Nacht, Kopf und Körper völlig ausgelaugt von der traumatischen Erfahrung. Als ich um vier Uhr morgens aufwachte, schoss mir der Horror wieder in die Glieder, und ich wurde hibbelig. In meiner Eile, hierher zu kommen, hatte ich dasNotebook in der anderen Wohnung gelassen. Gefährlich. Ich wollte nicht raus, aber ich brauchte den Computer. Als es hell wurde, schlüpfte ich in Jogginghosen, zog eine Kappe über den Kopf und joggte zur Deptford High Street hoch.
    Der Markt erwachte gerade, das Leben ging genauso weiter wie vorher, aber mir kam es so vor, als könne mich jede Sekunde etwas anspringen. Ich entriegelte die Schlösser und schob die Wohnungstür auf. Sie stieß gegen einen großen, braunen Umschlag, was ungewöhnlich war. Ich bekam nie Post. Ich hob ihn auf, stopfte ihn samt meinem Notebook in die Tasche und trabte gleich zurück in die andere Wohnung.
    Nach der körperlichen Anstrengung ging es mir ein bisschen besser und ich machte mir einen Tee und öffnete den Umschlag. Und bekam einen Schreck. Drinnen steckte eine Postkarte aus Kroatien, genau wie diejenige, die ich hätte finden sollen. Ich drehte sie um. Auf der Rückseite stand:
    Prüf deinen Kompass. Wärst du lieber noch hier?
Rasch spulte ich alle Möglichkeiten durch. Anna, von ihr musste der Umschlag sein.
    Ich zog die restlichen Blätter heraus. Sie waren in der Mitte gefalzt und sahen amtlich aus. Ich faltete sie auseinander und fing an zu lesen.
     
    Obduktionsbericht
    Leichenhalle Greenwich
     
    Name: Palmer, Stephen Christopher
    Alter: 30   Jahre
     
    Ich ließ mich aufs Sofa fallen.
     
    Äußere Leichenschau: Guter Ernährungs- und Allgemeinzustand, Körpergröße 180   cm
     
    Ich überflog die Spalten, in denen jedes kleinste Detail über den Körper meines Bruders aufgeführt war.
     
    Innere Leichenschau:
    Schädel: Kompressionsfraktur des Schädeldachs, gut vereinbar mit Sturz oder Schlag durch stumpfen Gegenstand. Schädelbruch am Hinterhaupt, Frakturen an den Halswirbeln Atlas und Axis sowie dem 3.   Halswirbel
     
    Gehirn: Kontusion des verlängerten Rückenmarks, intrazerebrale Blutung
     
    Für mich klang das, als habe sich Steve den Hals gebrochen, was dann eine Hirnblutung verursacht hatte. Ich las weiter.
     
    Magen: Nachweis einer curryhaltigen Mahlzeit, halb verdaut
     
    Nicht weiter ungewöhnlich.
     
    Herzbeutel, Herz, Blutgefäße: Nahrungsbestandteile auf molekularer Ebene im Blutgefäßsystem nachweisbar. Geruch nach Alkohol, hoher Blutalkoholspiegel. Nachweis diverser Rauschmittel: Kokain, Cannabis, MDMA
     
    Mich traf der Schlag. Steve war bei seinem Tod mit Drogen vollgepumpt gewesen bis zum Anschlag.
     
    Todesursache: Verletzungen des Schädels und Zentralnervensystems, gut vereinbar mit Sturz oder Einwirkung stumpfer Gewalt durch einen Gegenstand, zusätzlich gefördert durch Nachweis hoher Mengen von Rauschmitteln im Blut
     
    Also war er gar nicht ertrunken. Er war besoffen und völlig zugedröhnt gewesen und dann hatte er sich den Kopf eingeschlagen. Oder jemand hatte ihm den Kopf eingeschlagen. So fest, dass sein Schädel zersprungen war.
    Und dann fand ich das Detail, das alle offenen Fragen beantwortete:
     
    Bemerkungen: Schnittwunden der Haut an der Stirn, möglicherweise infolge scharfer Gewalt durch ein Messer, Gestalt »I<« oder Buchstabe »K«
     
    Jetzt war klar, wie er gestorben war und wer ihn umgebracht hatte.

Siebenundfünfzig
    Annas Schreibtisch war leer. Ich marschierte schnurstracks zu Tony Morris ins Büro. Ich hatte ihn schon einige Monate nicht mehr getroffen und er war überrascht, mich zu sehen.
    »Hallo, Fremder«, sagte er.
    »Warum hast du’s mir nicht gesagt?«
    Er wusste genau, wovon ich sprach. »Du bist schon groß, Eddie. Schau, wie weit du’s gebracht hast in diesem einen Jahr. Ich brauch dich nicht mehr mit dem Löffel zu füttern wie ein Baby.«
    »Du hättest es mir erzählen müssen«, spuckte ich ihm ins Gesicht.
    »Du hast nie gefragt«, entgegnete er. Diesen Tag hatte er kommen sehen. Er kratzte sich am Kopf und ließ sich in den Sessel fallen. Müde sah

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