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Long Reach

Long Reach

Titel: Long Reach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Cocks
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fuhren vorbei an einem verrammelten Imbissanhänger, übersät mit Werbeschildernfür Tee und Snacks, und bogen dann in einen kleinen, ungeteerten Weg voller Schlaglöcher ein. Im Licht der Autoscheinwerfer konnte ich einen heruntergekommenen Bauernhof ausmachen, mit Strohballen und rostigen Erntemaschinen vor dem Gebäude. Was auch immer da im Schwemmland angebaut wurde, groß konnte die Ausbeute nicht sein. Der Boden sah hart und unfruchtbar aus.
    Wir fuhren noch zwei Kilometer durch das schwarze Sumpfgebiet, vorbei an Strommasten, die sich über Straße und Felder spannten. In der Ferne konnte ich den Fluss ausmachen, aber nur durch die Lichter eines untermotorisierten Boots, das sich im Schneckentempo auf London zubewegte. Donnie hielt an, stieg aus und öffnete im Scheinwerferlicht eine Stahltür, hinter der ein weiterer Pfad lag. Er kletterte zurück in den Wagen und erneut folgten wir dem geschwungenen Weg hinab, flusswärts.
    Als wir den Damm erreichten, stoppte Donnie wieder und signalisierte mir, auch anzuhalten. Er öffnete meine Fahrertür und schob mich auf den Beifahrersitz, während er die Scheinwerfer ausschaltete. Er ließ den Mazda wieder an und fuhr ihn über die steile Grasfläche den Damm hinauf. Oben angekommen, öffnete er die Kofferraumtür und zerrte die Leiche heraus. Wieder musste ich die Füße übernehmen. Aus dem Ende der Rolle ragte ein Paar protzige Nikes hervor. Um dem Toten ein letztes Stück Würde zu lassen, wickelte ich den Samtvorhang darum, bevor ich mein Ende ergriff.
    Der Regen hatte aufgehört, aber von der Themse her wehte ein kühler Wind. Ich hörte in einiger Entfernung die Wellen schwappen und spürte, wie der Schweiß auf meiner nassen Stirn in der Nachtluft trocknete. Wir schleppten dieLeiche zum Ufer, über den Kies und die angespülten Wasserflaschen, und schleuderten sie hinaus in den Schlamm, wo sie mit nassem Klatschen aufschlug.
    »Die Flut trägt ihn später den Fluss runter«, erklärte Donnie.
    »Dann wird man ihn finden.« Ich hatte mir ausgemalt, Donnie würde die Leiche vergraben oder irgendwo in einem Zementbottich »verschwinden« lassen.
    »Klar«, sagte Donnie. »Als Warnung.«
    Ich betrachtete die Vorhangrolle, deren Samt im Matsch ganz dunkel geworden war. Einer der Turnschuhe war immer noch zu sehen und ein Arm ragte aus dem Stoffbündel hervor. Seine Finger krallten sich in die Luft.
    Aber ich sah nur meinen Bruder, Steve.

Sechsundfünfzig
    Ich versuchte zu schlafen, aber es gelang mir nicht. Meine Hände wollten nicht aufhören zu zittern. Die Bilder, die Geräusche hatten sich mir ins Hirn eingebrannt.
    Ich fühlte mich verwundbar, paranoid, als ob jeden Augenblick jemand an die Tür klopfen würde und mich fortschleifen. Die Polizei, oder einer von den Kelly-Jungs. Der schwarze Mann. Was weiß ich.
    Ich wusste gar nichts. Außer, dass der schwarze Mann echt war.
    Eine Warnung, hatte Donnie gesagt. Eine Warnung an wen? An andere, die den Kellys das Geschäft streitig machten? Ich fragte mich, warum Tommy darauf bestanden hatte, dass ich Donnie half. War ich es, den er warnen wollte? Oder wollte er mich so tief reinziehen, dass ich sowieso nicht mehr umkehren konnte? Mich in einen Mord verwickeln? Immer wieder blickte ich hinter geschlossenen Vorhängen auf die Straße runter und kaute meine Fingernägel bis aufs Blut ab. Ich beschloss, dass ich mich im sicheren Haus wohler fühlen würde, also verließ ich die Wohnung und schlich mich durch die Nebenstraßen zum Fluss.
    Aber als ich in der Wohnung war, ging es mir auch nicht viel besser. Ich saß nur rum und starrte aus dem Fenster, über die Themse, dorthin, wo Leute ihr ganz normales Leben lebten, in anständigen Berufen in ganz gewöhnlichen Büros. Einer von ihnen sein, das wollte ich, mir ehrlich meine Brötchen verdienen, ein schönes normales Leben führen, bei dem man nachts schlafen konnte. Wenn ich hier rauskäme, wäre ich wahrscheinlich arm und ohne Freundin, aber zumindest wäre ich wieder Teil der normalen Gesellschaft,
ehrlich
, arm und ohne Freundin. Würde normales Zeug machen, das Typen in meinem Alter eben so taten.
    Aber jetzt war dieser Zug für mich endgültig abgefahren.
    Ich erwog, Tony anzurufen, vielleicht sogar Baylis, aber in meinem Schockzustand konnte ich mir nicht vorstellen, wie ich ihnen die Lage auch nur ansatzweise hätte erklären sollen. Die Ereignisse der letzten Nacht hatten mich derart gezeichnet, dass ihre Hilfe, ihr Verständnis einfach nichts mehr

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