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Long Reach

Long Reach

Titel: Long Reach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Cocks
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abgewandt, in den Schnee starrend. Hätte Tommy Kelly sein können.
    »Caspar David Friedrich«, las Tommy vom Schildchen ab. »Seiner Zeit voraus.«
    Wir gingen zum nächsten Saal. Ich erkannte die Bilder sofort. Riesige abstrakte Gemälde in Weinrot und Schwarz, genau wie das bei Tommy im Arbeitszimmer. Bis auf uns war keiner im Raum.
    »Rothko«, sagte ich.
    »Der Meister«, bestätigte Tommy. »Hier komme ich immer her, wenn ich nachdenken möchte.«
    Wir gingen in entgegengesetzte Richtungen und drehten schweigend eine Runde. Als ich versuchte, mich auf die Bilder zu konzentrieren, begannen die Farben, sich gegenseitig anzuziehen und abzustoßen, und in mir regte sich eine Art Schwirren. Die Bilder pulsierten vor tiefer Verzweiflung.
    »Weißt du, ich schau sie mir immer wieder an«, sagte Tommy. Er stellte sich neben mich. »Aber je länger ich sie ansehe, desto weniger verstehe ich sie. Ich schaue und schaue, aber sie bleiben mir ein Rätsel.«
    Ich nickte. »Sie sind traurig«, war das Einzige, was ich dazu sagen konnte.
    »Das muss Rothko auch so empfunden haben«, stimmte Tommy zu. »Nach denen hier hat er sich umgebracht.«
    Irgendwie nachvollziehbar.
    »Was ist das?«, fragte Tommy plötzlich. Den Blick immer noch auf die Bilder gerichtet, zog er die Hand aus seinem Mantel und hielt etwas in der geöffneten Hand.
    Eine meiner Magnetwanzen. Ich starrte sie verständnislos an.
    »Weiß ich nicht«, sagte ich.
    »Die Putzfrau hat das unter meinem Schreibtisch gefunden.«
    »Sieht aus wie ein Mikrofon«, sagte ich auf gut Glück. Er blickte kurz darauf und nickte.
    »Irgendwer«, sagte er. »Irgendwer versucht, mich abzuhören. Ich möchte, dass du das hier an dich nimmst und mal ganz scharf darüber nachdenkst, wer in meiner Firma das sein könnte. Irgendein Verdacht, irgendwas, was du aufgeschnappt haben könntest. Manchmal braucht es den Blick von außen, um solche Dinge zu bemerken. Kümmer dich drum. Ich brauch Ergebnisse, und zwar schnell.«
    Er drückte mir die Wanze in die Hand. Sah mir in die Augen.
    »Gehen wir einen Kaffee trinken.«
    Ich folgte ihm aus dem Saal, die Wanze in meiner schwitzigen Hand. Er hatte recht. Ich musste handeln, und zwar schnell.

Achtundfünfzig
    Die Erfahrung der letzten Monate hatte gezeigt, dass es neben mir noch einen Menschen gab, der es unter Garantie schaffte, maximale Scheiße zu bauen: Jason Kelly.
    Es dauerte nicht lange, bis er wieder sein hässliches Haupt erhob.
    Sophie war bei mir. Es war der Freitagabend, nachdem Tommy die Wanze entdeckt hatte. Wochenende, aber ich war noch schreckhafter und paranoider als sonst. Die Liste derer, die die Wanze installiert haben konnten, war nicht lang. Jetzt musste bald etwas passieren, bevor nur noch ein Einziger übrig war. Ich.
    »Was ist denn los, Eddie?«, fragte Sophie.
    »Nichts. Bisschen angespannt.« Ich wusste, dass sie zu Hause selbst genug Stress haben musste. Die Entdeckung der Wanze dürfte Tommys Bedürfnis, in der Firma gründlich auszumisten, ziemlich befeuert haben. Dave und die anderen hatten Überstunden geleistet, Hyrone Browns Kontaktleute davon zu »überzeugen«, dass es ihnen ohne Verbindung zu Special K letztlich besser gehen würde. Wofür Mr Brown selbst das beste Beispiel abgab.
    Sophie strich mir übers Haar. »Du hast dich verändert, Baby.«
    Sie hatte recht. Im letzten halben Jahr hatte ich mich wirklich ziemlich verändert, aber seit der letzten Woche hatte sich meine ganze Einstellung zu ihr noch einmal verschoben. Sie war so schön wie eh und je, aber wenn sie mich so ansah, starrten mir Tommy Kellys Augen ins Gesicht, und ich musste mich abwenden. Der Romantik war das wenig zuträglich und es wurde mir klar, dass nicht mehr viele Dates dieser Art stattfinden würden. Die Sache ging zu Ende.
    Wir waren eigentlich mit ein paar von Sophies Schulfreundinnen in einem Club in Bromley verabredet, aber es wurde immer später, und weder sie noch ich hatten wirklich Lust drauf. Die Stimmung war im Keller. Bis halb zwölf wälzten wir den Gedanken hin und her, dann beschlossen wir, auf eine Stunde hinzugehen. Ich holte mir gerade ein frisches Hemd, als Sophies Telefon klingelte.
    »Naz«, bedeutete sie mir mit stummer Mundbewegung. Dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck. »Oh Gott«, sagte sie. »Oh. Mein. Gott.« Sie ließ sich aufs Sofa fallen. Ich konnte die Stimme ihrer Freundin hören. Sie schrie fast am anderen Ende der Leitung.
    Sophie war kreidebleich geworden und kaute an ihrer Lippe.

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