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Long Reach

Long Reach

Titel: Long Reach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Cocks
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mich an. Wir steckten beide im Schlamm, keuchten schwer von der Anstrengung. Ohne all seine Leute um ihn herum sah er schwach und schutzlos aus. Wie eine Schildkröte ohne Panzer.
    »Du bist es«, brüllte er. »
Du
bist es, Eddie.«
    Er sah aus, als würde er gleich weinen. Ich hatte nichts zu sagen.
    »Du bist der Einzige, der ihnen Biggin Hill verraten konnte. Du bist der Einzige, dem wir’s erzählt haben. Du hast uns verpfiffen.«
    Das hatte ich.
    »Tut mir leid«, sagte ich. Warum, wusste ich nicht. Aber einem Teil von mir
tat
es leid.
    »Es heißt, halte dir deine Freunde nah, aber deine Feinde noch näher«, knurrte er. »Anscheinend hab ich dich zu nah rangelassen. Hab die eigene Flanke weit aufgemacht, weil ich dich gern hatte. Ich war dabei, dich auszubilden, und du hast alles einfach weggeschmissen.«
    Trotz allem, was sich gerade abspielte, tat er so, als gäbe es nichts Schlimmeres als meinen Verrat.
    »Ich hab nichts weggeschmissen«, sagte ich. »Das warst du selbst. Saul hat dich nicht beschissen, er hat versucht, dich zu beschützen.«
    Seine Miene versteinerte. Dass der Fehler bei ihm liegen könnte, war ihm gar nicht recht.
    »Du hast sein Todesurteil unterschrieben, du Mistkerl«, spie er aus. »Wie einen Sohn hab ich dich behandelt. Jetzt, wo Jason aus dem Verkehr ist, hättest du   …«
    Sein Arm wies mit weiter Geste auf den Fluss hinaus und unwillkürlich verfolgten wir beide die schwerfällige Flucht des Gefährts, während Tommys Worte verhallten. Das Schlauchboot stotterte mühsam gegen die Flut an, bis der Motor noch einmal aufhustete und schließlich ganz versagte. In der Ferne sah ich Pauls Silhouette, wie er am Heck stand und vergeblich am Starterkabel zerrte. Die Gezeitenströmung zog das Boot wieder flussaufwärts, dem Ufer zu.
    »Scheiße«, schnaubte Tommy und versuchte, seine Füße aus dem Matsch zu reißen. Sie lösten sich mit einem klebrigen Schmatzen und er griff nach meinem Arm, um das Gleichgewicht zu halten. Ich zog meine eigenen Füße aus der Pampe und machte mich mit ihm auf zum Ufer, während er meinen Arm so fest umklammerte, dass es wehtat. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, ihn in den Schlamm zu stoßen und die Beine in die Hand zu nehmen.
    Wenn Paul Dolan wieder ans Ufer käme, wäre ich Fischfutter.
    Tommy hatte eindeutig den gleichen Gedanken. Er benutzte mich als Hebel, um sich selbst voranzuziehen. Dann sah ich, wie sein Gesicht einen Moment lang in Licht getaucht wurde, als ein Scheinwerferstrahl übers Wasser glitt. Er hielt meinen Arm mit eisernem Griff und blickte suchend über den Fluss. »Scheiße«, brüllte er wieder.
    Von der anderen Seite der Themse her steuerte eine Polizeibarkasse direkt auf das Schlauchboot in der Flussmitte zu. Ihr Suchscheinwerfer fegte über die Wasseroberfläche und aus einem Megafon schallte in einer harschen, metallischen Stimme der Befehl, sofort anzuhalten.
    Jetzt wusste Tommy, dass es hier nicht mehr nur darum ging, dass Jason davonkam.
    Er stieß sich von mir ab und bekam den festen Uferkies unter die Füße, während ich rückwärts in den Schlick schlitterte. Er rannte Richtung Auto. Mir fiel ein, dass ich noch den Schlüssel hatte, fummelte in meiner Tasche herum und fand ihn, nur Sekunden bevor er die Autotür erreichte. Ich drückte die Fernbedienung. Der Warnblinker leuchtete auf und mit lautem Piepsen verkündete das Auto seine Totalverriegelung. Tommy fluchte und schaute wild um sich, bevor er über die Marschen flüchtete. Rutschend und auf allen vieren arbeitete ich mich durch den Schlamm, bis ich endlich wieder auf beiden Beinen stand.
    Durch das borstige Gras sah ich Tommy verschwinden. In seinem schwarzen Mantel war er kaum noch zu erkennen. Ich hastete ihm nach und hatte ihn bald wieder im Visier, ein schwarzer Schatten vor dem dunklen Nachthimmel. Meine Kehle begann vor Anstrengung zu brennen, aber ich holte auf, und bald war ich ihm so nahe, dass ich ihn keuchen hörte. Er rutschte aus und ich warf mich auf ihn wie ein Rugbyspieler. Wir landeten auf einem Haufen Schutt und verrostetem Stacheldraht. Er war völlig am Ende, lag auf dem Rücken und atmete schwer. All seine Kampflust schien ihn verlassen zu haben. Es war entsetzlich nah. Ich lag auf ihm, mein Gesicht auf seinem, und klammerte michan seinem Mantel fest. Ich spürte die Wärme seines Körpers und roch seinen schnellen Atem. Als liebten wir uns.
    Vom Fluss her hörten wir Schüsse.
    »Ich war immer gut zu dir, oder, Eddie?«, sagte er. Seine

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