Lord Camerons Versuchung
zurückkommen –, würde er ihr zeigen, wie sehr er sie vermisst hatte.
Und er würde sie nie wieder aus den Augen lassen. Ohne sie zu sein war verdammt schwer.
Nachdem Ainsley ihren Bruder in den Teil des Plans eingeweiht hatte, der ihn betraf – er sollte sie zu einem Boot auf dem Kanal begleiten, auf dem eine Romafamilie lebte –, war er natürlich erst einmal verblüfft gewesen.
»Ainsley. Halt, warte.«
Ainsley stellte ihren Koffer auf dem Treidelpfad ab, der parallel zum Kennet and Avon Canal verlief. Ein langes Kanalboot war dort festgemacht und schaukelte sanft auf dem Wasser. Kinder beobachteten sie vom Deck aus, ebenso wie die Erwachsenen; einer der Männer rauchte eine lange Pfeife. Angelo war unter Deck verschwunden, um seiner Mutter zu sagen, dass der Besuch eingetroffen sei.
Patrick schnaufte ein wenig. Der Weg vom Dorf, westlich von Reading, wo die gemietete Kutsche sie abgesetzt hatte, bis hierher war anstrengend gewesen. Ainsleys fünfundvierzigjähriger Bruder sah, obwohl er ein wenig an Leibesumfang zugelegt hatte, so ungeheuer respektabel in seinem dunklen Anzug mit Hut und Spazierstock aus, dass Ainsley ihn am liebsten wieder umarmt hätte. Sie hatte ihn vermisst.
Patrick zog sein Taschentuch hervor, das zu einem perfekten Quadrat gefaltet war, und trocknete sich die Stirn. »Wir haben noch nicht darüber gesprochen, was wir auf diesem Boot machen werden.«
»Nichts. Es wird uns unauffällig nach Bath bringen.«
»Ein Kanalboot voller Roma ist unauffällig?«
»Nun, auf jeden Fall vermutet man uns dort nicht. Ich muss ohne großes Trara nach Bath, und vor allem ohne dass jemand weiß, dass wir kommen.«
»Wo ich dann als dein Komplize fungieren werde?«
»Ich habe den Begriff Komplize sehr großzügig gebraucht«, entgegnete Ainsley. »Ich werde dir auf dem Boot alles erzählen.«
»Ainsley.«
Patricks Ton wurde ernst, und Ainsley holte tief Luft. Sie hatte ihn von seinem Gasthaus in Windsor zu seiner gemieteten Kutsche gehetzt und während der ganzen Fahrt ohne Unterlass von ihrem Leben in Waterbury erzählt, von den Pferden, von Daniel, davon, ihr Haus neu auszustatten. Alles nur, um das Gespräch zu vermeiden, von dem sie wusste, dass es ihr jetzt bevorstand.
»Ainsley, du hast mir bislang nicht gestattet, über dein Davonlaufen zu reden«, sagte Patrick.
»Das weiß ich. Ich wollte das Donnerwetter hinauszögern, von dem ich weiß, dass es jetzt über mich hereinbrechen wird.«
»Ich wünschte nur, du wärst zuerst zu mir gekommen. Was für ein Schock war das für uns, als wir dein Telegramm bekommen haben! Meine kleine Schwester hat einen Lord geheiratet. Und dazu noch gerade diesen Lord.«
»Ich weiß. Es tut mir leid, Patrick, aber ich musste mich schnell entscheiden. Es war keine Zeit, dich um Rat zu fragen. Ich habe gewusst, dass mein Davonlaufen eine Kränkung für dich sein würde, und bitte glaube mir, wenn ich sage, dass es mich schmerzt, dich gekränkt zu haben. Sehr sogar. Aber Cameron hatte recht, als er mir sagte, ich hätte mich absichtlich zu einer Sklavin gemacht. Verstehst du, ich dachte, wenn du und Rona sehen würdet, wie leid es mir tut, wie dankbar ich war, dass ihr mir beigestanden habt, als ich so dumm war – und wie anständig ich für den Rest meines Lebens sein würde –, dass du mir dann vielleicht verzeihen würdest.« Ihr ging die Luft aus.
»Ainsley.« Patricks graue Augen weiteten sich. »Natürlich habe ich dir vergeben. Vor Jahren schon. Und überhaupt – es gab nichts zu verzeihen. Du hast ein so gutes Herz, natürlich hast du diesem Schuft in Italien geglaubt. Warum auch nicht? Es war meine Schuld, dass ich nichts bemerkt habe, weil ich so sehr mit meinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt war. Sonst hätte ich dich rechtzeitig warnen können. Du müsstest mir eigentlich vergeben, weil ich nicht auf dich aufgepasst habe.«
»Aber ich habe nie die Schuld bei dir gesucht, Patrick. Es ist mir nie in den Sinn gekommen, dir die Schuld zu geben.«
»Nun, ich habe mir selbst die Schuld gegeben. Du warst so jung und so vertrauensvoll, und ich hätte besser auf dich achtgeben müssen.«
Ainsley hatte nicht gewusst, dass Patrick so empfunden hatte. Vielleicht war sie zu sehr mit ihrer Selbstbestrafung beschäftigt gewesen, dass sie es versäumt hatte zu bemerken, dass ihr Bruder das Gleiche tat.
»Mein lieber Patrick, wir können noch stundenlang auf diesem Treidelpfad stehen und Erklärungen über unsere Schuldhaftigkeit abgeben, aber
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