Lord Camerons Versuchung
»Sie kleine Närrin. Lord Cameron wird es dem Duke gesagt haben, und Abschriften werden schon bald zirkulieren.«
»Cameron hat es niemandem gesagt. Ich habe ihn gebeten, das Geheimnis zu bewahren, und er hat es versprochen.«
»Machen Sie sich nicht lächerlich. Er ist ein MacKenzie. Man kann ihm nicht vertrauen.«
»Man kann ihm sehr wohl vertrauen«, entgegnete Ainsley. »Aber sollten Sie Erfolg damit haben, unsere Ehe zu hintertreiben, meinen Sie nicht, dass Lord Cameron dann preisgeben könnte, was er weiß?«
Ainsley glaubte nicht, dass Cameron Rache nehmen und kleinliche Gerüchte in die Welt setzen würde, aber andererseits – wer wusste schon, was Cameron tun würde? Sie musste an seinen Blick denken, mit dem er ihr nachgesehen hatte, als sie Waterbury Grange verlassen hatte: harsch, leer, zornig.
Victoria jedoch glaubte es. »Das ist Erpressung.«
»Ja, das ist es. Es scheint das Einzige zu sein, das jeder versteht.«
Ainsley war dieses Leben plötzlich leid – den Hof, den Klatsch, die Geheimniskrämerei und das Geschwätz. Sie war immer die Außenseiterin gewesen, die das Geschehen vom Rand her beobachtet hatte, die unbedeutende Tochter eines unbedeutenden Gentlemans, engagiert von der Königin um Ainsleys Mutter willen. Ainsley war nie bedeutend genug gewesen, bestochen zu werden, um jemandem Vergünstigungen zu verschaffen oder durch Erpressung dazu gebracht zu werden; sie hatte nur beobachtet, dass andere das getan hatten. Niemand hatte sie jemals beachtet.
Jetzt, als Frau eines der berüchtigten und einflussreichen MacKenzies, Erbe des Herzogtums, konnte Ainsley benutzt werden – oder gefährlich. Sie zog es vor, gefährlich zu sein.
»Deshalb glaube ich, dass ich mit Lord Cameron verheiratet bleiben werde«, schloss Ainsley.
Die Königin starrte sie empört an, aber Ainsley entging nicht, dass Victoria sie auf eine neue Art ansah: nicht wie man eine willfährige Dienerin ansah, die man damit beauftragen konnte, delikate Botengänge zu erledigen, sondern wie eine Frau, mit der man rechnen musste.
»Ihr armer lieber Mann wird sich in seinem Grabe umdrehen«, sagte Victoria. »Mr Douglas war ein so hochanständiger Mann.«
»Mein armer lieber Mann hatte einen großzügigen Charakter, und ich glaube, er würde mich glücklich sehen wollen.« John war bis zum Schluss freundlich gewesen, und Ainsley war immer sehr, sehr froh gewesen, dass sie ihm treu gewesen war.
Die Königin betrachtete sie weiterhin mit kalten Augen. »Ich werde tun, als hätte ich diesen Ausbruch niemals gehört. Als hätte dieses Gespräch niemals stattgefunden.« Sie nahm ihre Handarbeit vom Schoß und legte sie zur Seite. »Wenn Sie nicht so rüde gewesen wären, Ainsley, hätte ich Ihnen schon eher gesagt, dass Ihr Bruder eingetroffen ist. Ich habe Vorkehrungen getroffen, dass er Sie mit nach Hause nimmt, um dort bei ihm auf die Annullierung zu warten. Aber jetzt können Sie natürlich tun, was immer Sie wünschen. Wir sind fertig. Aber es gibt ein Sprichwort, meine Liebe, das Sie beherzigen sollten: Wie man sich bettet, so liegt man.«
Meine Güte, heute hatten sie es aber mit sehr vielen alten Spruchweisheiten zu tun. Aber solange Cameron MacKenzie in dem besagten Bett war, würde Ainsley glücklich sein und gern darin liegen.
Ainsley legte ihre Stickerei in den Handarbeitskorb. »Patrick ist hier? Kann ich gehen?«
»Bitte. Schicken Sie Beatrice zu mir. Ich glaube nicht, dass Wir Sie hier wiedersehen.«
Ainsley stand auf und knickste, eher erleichtert als bestürzt darüber, entlassen zu sein.
Aus einem Impuls heraus beugte sie sich vor und küsste die Königin auf die faltige Wange. »Ich hoffe, Sie werden eines Tages doch noch stolz auf mich sein«, sagte sie. »Und ich versichere Ihnen, dass Ihre Geheimnisse bei mir sicher sind.«
Victoria blinzelte überrascht. Ainsley spürte den Blick der Königin auf sich ruhen, als sie zur Tür ging und das Zimmer verließ. Das Klicken der Tür, die ein Diener hinter ihr schloss, schien das Zeichen für das Ende ihres alten Lebens zu sein.
Patrick McBride wartete nicht weit entfernt auf dem Gang auf sie. Er schaute unbehaglich drein und wirkte ein wenig glanzlos inmitten der Pracht Windsors. Ainsley ließ ihren Handarbeitskorb fallen und lief mit ausgestreckten Armen auf ihren Bruder zu. Sein Lächeln, als er sie auffing, wog jedes der missbilligenden Worte der Königin auf.
»Ich bin so froh, dich zu sehen«, sagte Ainsley und lächelte in sein liebes Gesicht.
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