Lord Camerons Versuchung
Sie haben erst halb so lange gelebt wie ich, und es dauert noch sehr lange, bis Sie die nächste Hälfte geschafft haben. Welch seltsame Ehe Mrs Douglas doch eingegangen ist. John Douglas war schon in den Fünfzigern und sie kaum achtzehn. Ich vermute, es war ein Arrangement der Familien, aber ich kann mir nicht vorstellen, welcher Art. Douglas hatte nie viel Geld, und er hat Ainsley so gut wie mittellos zurückgelassen, das arme Ding. Ich erzähle Ihnen das alles aus einem bestimmten Grund, Lord Cameron.«
Weil sie Camerons unverhohlenes Interesse an Ainsley Douglas bemerkt hatte. Zum Teufel, alle Gäste würden es mitbekommen, wenn sie nicht so sehr damit beschäftigt wären, ihrerseits die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
»Sie ist jung«, erwiderte Cameron. »Sie kann wieder heiraten.«
»Richtig, sie ist jung und noch immer ganz reizend, aber meistens lebt sie sehr zurückgezogen und hat nicht viel Gesellschaft. Ihre Majestät legt großen Wert auf Mrs Douglas’ Anwesenheit – sie ist ihre Favoritin geworden, und Mrs Douglas braucht das Geld, das diese Stellung bei Hofe ihr einbringt. Ainsleys ältester Bruder unterstützt sie zwar, aber er hat selbst eine Familie, und Ainsley spürt doch sehr die Einschränkungen, die das Leben in einem kleinen Zimmer in seiner Wohnung mit sich bringt. Ainsleys Mutter war eine der Favoritinnen der Königin, ehe sie ihr Wohlwollen verlor, weil sie unter ihrem Stand heiratete. Mr McBride war nicht das, was die Königin für sie im Sinn gehabt hatte. Die arme Jeanette. Aber all das war vergessen, als die Königin Ainsley kennenlernte. Sie war entzückt von ihr und bestand darauf, sie in ihren Haushalt aufzunehmen. Ainsleys Bruder ist nett, aber sie war völlig abhängig von ihm. Natürlich hat sie die Stellung angenommen, sie ist ein wahrer Segen für sie.«
Was Ainsleys eiserne Entschlossenheit erklärte, den schmachvollen Brief aus den Klauen des bösen Lord Cameron zurückzuholen, bevor dieser ihn jemandem zeigte. Ainsley konnte es sich nicht leisten, ihre Stellung bei der Königin zu verlieren.
»Aber das arme Mädchen wird nie irgendwo gesehen, weder während der Saison noch zu anderen Zeiten«, fuhr Mrs Yardley fort. »Nein, nie. Die Königin hat sie gern in ihrer Nähe. Wenn Ainsley einmal einige freie Tage zugestanden werden, ist sie für das gesellschaftliche Leben viel zu erschöpft. Sie wohnt während dieser Zeit bei ihrem Bruder – nette Leute, wie ich schon sagte, aber überkorrekt. Abendessen im Familienkreis und lautes Vorlesen. Piano spielen, wenn sie sich wirklich einmal wahrhaft leichtsinnig fühlen. Patrick und seine Frau Rona haben Ainsley und ihre drei weiteren Brüder aufgezogen, nachdem ihre Eltern gestorben waren. Ich bin froh, dass Isabella Ainsley hin und wieder dort herausholt, und sei es auch nur für eine Woche.« Cameron fühlte Mrs Yardleys scharfsichtigen Blick auf sich ruhen. »Hören Sie mir zu, Mylord? Ich plaudere nicht einfach nur, um die Zeit zu füllen, müssen Sie wissen.«
Cameron konnte den Blick nicht von Ainsley abwenden. Sie hatte den Kopf zu dem Grafen vorgebeugt, während sie über ihr nächstes Spiel sprachen. »Ja, ich höre zu.«
»Ich bin nicht alt auf die Welt gekommen, Mylord. Ich erkenne es, wenn ein Mann eine Frau begehrt. Und Sie sind kein Ungeheuer, trotz des Rufes, den Sie aufrechtzuerhalten versuchen. Ainsley braucht ein wenig Aufregung in ihrem Leben, das arme Lämmchen. Sie war eine sehr lebhafte junge Frau und musste sich dann plötzlich an ein Sklavenleben gewöhnen.«
Sie wirkte in diesem Moment jedoch keinesfalls wie eine Sklavin. Ainsley lachte, ihr Lachen funkelte über das Grün des Rasens. Ihr Lächeln war allein für den Grafen bestimmt, und etwas Gefährliches rührte sich in Cameron.
»Vergeben Sie mir, Mylord«, sagte Mrs Yardley. »Ich habe dieser Tage nicht viel anderes zu tun, als meine Mitmenschen zu beobachten – und ich habe wirklich sehr große Erfahrung darin, wer zu wem passt. Warum es nicht zusammenfügen? Was um alles in der Welt wollen Sie mit dem Rest Ihres Lebens anfangen?«
»Das, was ich jetzt tue, denke ich.« Cameron rieb sich die Oberlippe, als Ainsley dem Grafen den Arm tätschelte, um ihn zu loben. »Pferde erfordern viel Aufmerksamkeit, und der Rennkalender füllt das Jahr aus.«
»Das hörte ich. Aber das Glück ist eine ganz andere Sache. Es ist ein klein wenig Anstrengung wert.«
»Ich habe diese Anstrengung bereits ein Mal gemacht.«
Verdammt zu viel
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