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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Deich, ob sich auf seinem Kamm etwas regte. Eine Schar exotischer Seevögel hockte in der Nähe und beobachtete mich. Wenigstens glaubte ich, daß es Vögel waren; ihre Schwingen schimmerten blau, gelb, rot und violett, so daß ein Schwarm von ihnen in der Luft aussah wie buntes, wirbelndes Konfetti.
    Ich rappelte mich auf, sah hinauf in den Himmel, in der Erwartung, jenseits der Wolken etwas Unnatürliches zu erspähen, vielleicht die Unterseite der Welt, aus der ich herabgestürzt war, eine exorbitante Gewölbedecke oder den geiergleich kreisenden schwarzen Schatten von Nikobals Flugapparat. Was ich tatsächlich sah, war ein normaler Himmel, vielleicht etwas zu kränklich in seinen Farben, wie auch die Wolken und die Sonne seltsam unfertig aussahen. Selbst mein Schatten wirkte eigenartig blaß auf dem Sand. Seltsamerweise spürte ich keinerlei Nachwirkungen eines Aufschlags, fast so, als sei ich sanft zu Boden geschwebt und auf Sand gebettet worden. Ich schloß die Augen. Als ich sie wieder öffnete, hatte sich an den Farbnuancen der Landschaft nicht viel verändert, aber die Formen waren klarer und ihre Konturen schärfer. Es war ein lebendiger Himmel, kein Standbild wie über der Bunkerwelt. Die Wolken bewegten sich! Und die Luft – ich nahm einen tiefen Atemzug – war frisch und salzig!
    Ich lief ans Wasser, kniete mich in den nassen Sand, erwartete die Wellen mit ausgestreckten Händen. Die Augen hielt ich dabei geschlossen, genoß nur das Geräusch der Brandung, das plötzliche Auftreffen der Wellen auf meinen Händen. Dunkle Wolken brauten sich über dem Meer zusammen, vereinzelte Blitze flackerten am Horizont. Gott, wie lange hatte ich keinen Regen mehr auf der Haut gespürt? Allerdings mußte ich mich vorsehen, nicht gleich vom ersten aufs Festland treffenden Blitz erschlagen zu werden. Ich tastete meine Jacke ab. Die Browning und die Strahlenwaffe hatten den Übergang überstanden, nur der Downer fehlte. Ich suchte die Stelle ab, an der ich erwacht war, fand ihn aber nicht. Dafür entdeckte ich Fußspuren, die an einer unmerklichen Vertiefung im Sand begannen und von menschlichen Sohlen stammten. Die Abdrücke waren wesentlich kleiner als meine und führten hinauf zum Damm. Zweifellos waren es Prills Fußspuren. Gamma war also hier, irgendwo in der Nähe.
    Ich erklomm den Deich und inspizierte das Terrain. Hinter dem Erdwall erstreckte sich eine weite, steppenähnliche Ebene. Hier und dort erhob sich eine Düne über das Gras, doch bis auf vereinzelt umherschwärmende Vögel erblickte ich weder Mensch noch Tier. Die einzigen Bewegungen in der Landschaft erzeugte der Wind, welcher bereits vereinzelte Regentropfen mit sich führte. Die Flut konnte nicht besonders hoch sein, überlegte ich, als mir auffiel, wie niedrig der Deich war. Ein Trampelpfad auf seinem Kamm ließ auf einen künstlichen Ursprung schließen. Bei aller Freude beschlich mich auch leichtes Unbehagen. Die Küstenlinie verlief schnurgerade, wie mit dem Lineal gezogen. Sie war ebenso unnatürlich linear und endlos wie die Straße in der Bunkerebene …
    Als der Regen einsetzte, schlug ich den Jackenkragen hoch und folgte den Fußspuren. Meinen Blick hatte ich dicht vor meine Füße gerichtet, die Steppe zur Linken, das Meer zur Rechten. Irgendwann ließ der Regen nach, und Sonnenstrahlen fanden hier und da eine Lücke in den Wolken. Als ich den Kopf hob und den Deich entlangblickte, entdeckte ich Prill. Sie saß jenseits des Weges auf dem Damm und sah hinaus aufs Meer, wie eine Seefahrerwitwe, die hofft, irgendwann das Segel eines Schiffes am Horizont zu erblicken, das ihren verschollen geglaubten Mann nach Hause bringt. Ich verlangsamte meinen Schritt und hielt nach einer Behausung Ausschau, aus der sie aufgetaucht sein konnte. Nichts dergleichen war zu sehen, auch kein kielüber liegendes Boot, das ihr während des Regens als Unterschlupf gedient haben könnte.
    Prill stand auf, trat auf den Pfad und sah mir entgegen. »Willkommen«, begrüßte sie mich, als ich sie erreicht hatte. Unverkennbar beherrschte weiterhin Gamma ihren Körper. »Entschuldige, daß ich nicht auf dich gewartet habe. Ich mußte den Prill-Klon in Sicherheit bringen. Statt deiner hätte auch etwas anderes die Brücke passieren können …«
    »Wo sind wir hier?« wollte ich wissen. »Ist das eure Welt?«
    »Nein, nur eine weitere Projektebene. Ich halte es für ratsam, ein paar interdimensionale Haken zu schlagen. Eine reine Vorsichtsmaßnahme.« Er neigte den Kopf.

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