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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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eines der Eier auf; hervor quoll eine weiße, zähe, aromatisch riechende Substanz, die sich langsam im Teller verteilte. Ich steckte den Löffel in den weißen Brei und rührte angeekelt darin herum.
    »Sind das Eier?« fragte ich und experimentierte mit der zähen Masse, »oder hormonbehandelter Fischrogen? Außerirdische Früchte? Das Ergebnis einer Liaison zwischen einem Gummibaum und einem Lindwurm?«
    »Es besitzt keinen Namen«, antwortete Gamma.
    Ich roch in den Krug zu meiner Rechten. Dem Aroma nach bestand sein Inhalt aus kaltem Tee. Bemüht, dem Gericht etwas Appetitliches abzugewinnen, probierte ich schließlich etwas von dem Brei. Selbst mit geschlossenen Augen fand ich ihn wenig bekömmlich. Ich schielte zum Aquarium. Die Fische starrten mich immer noch an. Ihre Gesichter erinnerten mich an die der Lords. Hätten sie Nasen besessen, hätte man sie für degenerierte Verwandte meines Gegenübers halten können.
    »Gibt es hier nichts Vernünftiges zu Essen?« beschwerte ich mich. »Wenigstens« – ich tippte eines der leuchtenden Objekte an – »richtige Eier, und nicht dieses Zeug hier.«
    Gamma sah gleichgültig drein. »Man kann es dir wohl nie recht machen«, urteilte er. Dann zuckte er die Schultern und nickte in Richtung der Theke. Ich sah hinüber. Hinter dem Tresen stand wie ein Dschinn aus einer Wunderlampe eine dunkelhäutige Gestalt. Sie trug einen rot-weiß-gemusterten Turban, einen krausen, schwarzen Vollbart und eine schäbige, braune Lederjacke über einem graumelierten Hemd. Ich warf einen zweifelnden Blick auf Gamma, stand auf und näherte mich dem Fremden, der anscheinend das Amt eines Gastwirtes bekleidete. Der Mann blickte ausdruckslos auf den Tresen. Erst als ich die Theke erreichte, hob er den Kopf.
    Ich bat ihn, mir Kaffee, ein Ei und etwas Brot zu bringen. Er blickte mich finster an und tastete nach dem Griff eines Krummdolches, den er am Gürtel trug. »Ei?« wiederholte er mit tiefer Stimme zweifelnd.
    »Und Kaffee …«
    Der Wirt bewegte sich rückwärts durch eine Tür, wobei er mich unausgesetzt beobachtete, dann war er in der Dunkelheit verschwunden. Nach etwa fünf Minuten erschien er wieder, in den Händen eine Getränkedose mit japanischem Apfelsaft und ein sehr kleines, sehr dreckiges und sehr rohes Ei mit zwei verschmierten Federn. Beides legte er vor mir auf den Tresen.
    »Nach meiner Erfahrung fährt man am besten, wenn man bei einem einheimischen Gericht bleibt«, resümierte Gamma, nachdem ich mich wieder zu ihm gesetzt hatte. Er erhob sich und lief seinerseits zur Theke. Kurze Zeit später stand eine Schüssel mit heißem, dünnem Eintopf vor mir, dazu ein Fladen ungesäuerten Brotes.
    »Du wolltest die Wahrheit wissen«, erinnerte sich mein Mentor, während ich die Suppe in mich hineinlöffelte. Dabei schaute er so intensiv hinüber zur Theke, daß ich nicht umhin konnte, seinem Blick zu folgen. Von der grimmigen Bedienung war kein Zipfel mehr zu sehen. Es überraschte mich kaum. »Du wirst dich weigern, sie zu akzeptieren«, fügte Gamma hinzu.
    Ich warf den Löffel hin, schob die Schüssel ein Stück fort. Ein Teil der Flüssigkeit schwappte über den Rand, besudelte den Tisch. »Worauf willst du hinaus?« fragte ich.
    »Ich verlange, daß du endlich deine törichte Arroganz ablegst, Stan!« Gamma wartete einen Augenblick, als wollte er sich vergewissern, daß ich ihn verstanden hatte, ehe er sagte: »Du bist Plankton, das sich einbildet, es bewege den Ozean um sich herum, das glaubt, es kontrolliere die Gezeiten selbst dann noch, wenn es sich längst im Maul eines Fisches befindet. Wenn du weiter blicken kannst als andere, dann nur, weil du auf den Schultern von Riesen reitest!«
    Ich fuhr hoch, stemmte meine Hände auf die Tischplatte: »Ich will keine Charakterstudie«, empörte ich mich laut, »sondern eine Erklärung! Nur eine einfache Erklärung, weiter nichts!«
    »Das ist das Problem, Stan«, entgegnete Gamma leise. »Es gibt keine einfache Erklärung.«
    Seit ich meinem Mentor gegenüber saß, war ich bemüht, seine Anwesenheit in diesem Raum zu verharmlosen. Der Läufer neben mir beunruhigte mich weitaus weniger als das fette Geschöpf an meinem Tisch. Ständig versuchte ich, mir seine natürliche Gestalt vorzustellen, und mußte dabei an den monströsen Schatten denken, den ich in einer der Stationen zu Gesicht bekommen hatte. Würden Gamma und die Lords in ihrer menschlichen Gestalt Seite an Seite sitzen, könnte man sie nicht voneinander

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