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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Kopf kleiner als ich und trug eine Lex Miller-Perücke, die aussah wie ein silberner Sturzhelm ohne Visier. Gekleidet war sie in ein sündiges Netzwerk aus schwarzen Lederfäden, das alles verbarg, nur nicht das, was es verbergen sollte. Sie lächelte mich belustigt an, spitzte dann ihre Lippen zu einem Kußmund. Der Mann, ungefähr vierzig, grinste weitaus unverschämter. Er trug seine Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, dazu eine Zorro-Maske, und hatte seine Lippen nach Bela Lugosi-Manier dunkel gefärbt. Im Gegensatz zu seiner Partnerin war er relativ schlicht gekleidet: schwarze Bundfaltenhose, schwarzes T-Shirt – barfuß. Ein Bauchansatz wölbte sich unter dem Shirt.
    »Vergiß es«, meinte der Mann, als ich stehenblieb. Er schloß mit seiner Partnerin zu mir auf und sah Prill hinterher. »Sie ist ein Objekt, aber kein Mensch mehr.«
    »Ich habe dich nicht um einen Ratschlag gebeten«, knurrte ich.
    »Clemens hat recht«, pflichtete die Frau bei. »Du darfst sie nicht berühren. Sie wird es nicht zulassen, solange sie dieses Kleid trägt.«
    »Ich will sie nicht berühren«, erwiderte ich, »sondern mit ihr reden.«
    »Du darfst sie auch nicht ansprechen, denn ihr Aussehen spricht für sie«, erklärte die Frau. »Sie wird dich nicht hören und dir auch nicht antworten.«
    Ich sah mich um. Prill war zwischen Licht und Schatten verschwunden. Verärgert verschränkte ich die Arme vor der Brust und sah Clemens an. Ich kannte ihn bereits aus den anderen Stationen. Er war etwas größer als ich, kräftig gebaut und besaß eine breite Nase, die er als Andenken an zahllose Faustkämpfe auf der Erde auf diese Welt mitgebracht hatte. Ich verspürte keine Lust, herauszufinden, ob die Erinnerung an seine Boxerkarriere noch auf seinem Persönlichkeitsmuster gespeichert war.
    Der Name der Frau war Melissa. Über ihre irdische Vergangenheit hatte ich kaum etwas in Erfahrung bringen können, wußte nur, daß sie einst zu den Stewardessen gehört hatte. Für ihre Größe war sie ein wenig zu stämmig, aber dennoch attraktiv. Unter der Silberperücke mußte sie braune Locken verstecken, falls sie ihren Schädel nicht kahlrasiert hatte. Sie maß mich mit einem neugierigen Blick. Ihre dunklen Augen funkelten, und ich sah ihr an, daß sie rätselte, wer unter der Ledermaske stecken mochte.
    »Wer bist du?« fragte sie mich wie zur Bestätigung.
    Ich zuckte die Achseln. »Ich habe heute keinen Namen.«
    Melissa hob die Augenbrauen und grinste geheimnisvoll. »Na gut, Anonymus. Begleitest du uns ein Stück? In einer halben Stunde werden auf der Lichtung die Drinks ausgeschenkt.« Sie hakte sich bei mir ein. Ich warf einen letzten Blick in die Richtung, in der Prill verschwunden war, willigte schließlich ein und ließ mich von den beiden durch das Arboretum führen. Ich tat so, als kenne ich mich in der Anlage aus. Wollte ich dennoch etwas wissen, verkleidete ich meine Fragen als Behauptungen, die dann sogleich von Melissa oder Clemens bestätigt oder korrigiert wurden. Das Einhaken der Frau wandelte sich im Laufe des Spazierganges zu einer Mischung aus Umarmung und analysierendem Ertasten. Vielleicht hoffte sie, auf meiner nackten Haut irgendwelche Besonderheiten zu entdecken, anhand derer sie mich identifizieren könnte. Meine Befürchtung, ihre Forschungen würden sie den Downer ertasten lassen, bestätigte sich Gott sei dank nicht. Melissa interessierte sich zumindest nicht für den Inhalt meiner Jacke …
    Ich vermied es, Clemens’ Blick zu begegnen, vermutete aber, diese Art der Annäherung war – zumindest in dieser Station – normal. Wahrscheinlich gab es keine festen Beziehungen. Man wechselte die Partner wie die Motten die Laternen. Moths – welch treffender Name für diesen Ort mit seinen lichtscheuen Kreaturen …
    Nach und nach erfuhr ich auch einiges über die gesellschaftliche Struktur und die Verwaltung innerhalb der Station. So machten Kleider hier tatsächlich Leute. Es gab sechs Gesellschaftsschichten, die sich anhand ihrer Bekleidung voneinander unterscheiden ließen und denen jeweils einhundert Menschen angehörten. Melissa und Prill waren Mitglieder der obersten Kaste, der sogenannten Sidds. Clemens und in Vertretung meines Kolonie-Egos ich selbst gehörten den Cluds an, der zweithöchsten Schicht. Darunter folgten Taggs (die den Leuchtschmuck trugen), Polls (ein wenig Lack und Leder), Slons (lediglich mit Ärmeln bekleidet) und Vemms. Letztere waren leicht zu erkennen, da sie im Adamskostüm durch die

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