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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Prill. »Als Kind war ich of…« Sie stockte, sah zu Boden, lächelte dann freudlos. »Ich erinnere mich«, meinte sie schließlich.
    »Dann kennst du auch die Elefantenshow.«
    Wieder ein Nicken.
    »Dieser Schatten sah aus wie ein Elefantenbulle, der sich auf seine Hinterbeine gestellt und die Ohren gespreizt hat.«
     
    Ich empfahl Prill, ihr Kleid auszuziehen und in Ritas Garderobe nach etwas Robusterem zu suchen. Sie zeigte sich verstimmt, durchstöberte aber, nachdem ich ihr den Grund erklärt hatte, sämtliche Schränke und verschwand mit einem Kleiderbündel im Badezimmer. Ritas Unterkunft sah der von Melissa und – mit gewissen Einschränkungen – auch der von Hank zum Verwechseln ähnlich. Die Stationen glichen unterirdischen Viersterne-Hotels mit 628 identischen Suiten. Zwar hatte jeder Bewohner seine Möbel dorthin geschoben, wo er sie am praktischsten fand, doch alle Quartiere waren einheitlich ausgestattet. Dazu gehörten in dieser Station auch markenlose Radiowecker wie jener, der auf Ritas Nachttisch stand. Daß solch ein Luxus für einen Überlebensbunker recht ungewöhnlich war, schien niemandem bewußt zu sein. Die Bewohner kannten ja keinen Vergleich. Nachdem Prill die Badezimmertür geschlossen hatte, schaltete ich das Radio ein. Ethno-Musik erfüllte den Raum.
    »Gamma …?« fragte ich gedämpft und über das Gerät gebeugt.
    Die Musik blendete aus. »Statt?«
    »Wir müssen hier raus, aber ich fürchte, der Lift wird bewacht.«
    »Es existiert ein Wartungstunnel, der von einem der Wasserspeicher ins zentrale Lüftungssystem führt«, informierte mich Gamma. »Prill kennt ihn.«
    »Ist das alles?« fragte ich, als die Musik wieder lauter wurde. »Ich hätte ein wenig mehr Hilfe verdient.«
    Das Lied brach ab, für Sekunden herrschte Stille.
    »Tut mir leid, Stan«, meldete sich Gamma erneut. Seine Stimme klang weit entfernt. »Ich laufe Gefahr, mich zu verraten, wenn ich innerhalb der Station länger mit dir in Verbindung bleibe. Salmeik könnte meinen Standort bestimmen. Mit Sicherheit kennt er nun das Zimmer, in dem ihr euch befindet. Beeilt euch.«
    Ein Knacken, dann ertönte wieder Ethno-Sound.
    »Mit wem redest du?« fragte Prill von der Badezimmertür her.
    Ich sah mich erschrocken um. »Mit niemandem«, beteuerte ich. »Nur ein Selbstgespräch.«
    Prill zog die Stirn kraus. Sie hatte sich umgezogen, trug nun eine enge rote Lackhose, einen schwarzen, viel zu kleinen Pulli und Turnschuhe. Ihr langes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebändigt. »Etwas Praktischeres ist nicht da«, meinte sie. »Rita ist fast siebzig. Ein Wunder, daß sie überhaupt eine Hose besitzt. Und ihre Schuhe sind mir auch zu eng.«
    Ich sprach Prill auf den Tunnel an. Sie erinnerte sich an ihn, ebenso, ihn mehrere Male benutzt zu haben, immer zusammen mit Hank und zwei anderen Bewohnern der Station. Bei einem dieser Ausflüge mußte sie allerdings auf etwas gestoßen sein, das nicht für ihre Augen bestimmt war, aber an das sie sich nicht mehr zu erinnern vermochte. Falls Hank der Initiator dieser Exkursionen gewesen sein sollte und Gamma ihm durch den Äther zugeraunt hatte, wohin die einzelnen Lüftungsschächte führten, war so etwas durchaus denkbar. Ich vermutete, Prill war – absichtlich oder nicht – in einen Bereich unterhalb der Wohnquartiere gelangt, der Salmeik vorbehalten war. Wo die Domizile der Lords in den Stationen verborgen lagen, hatte ich bis heute nicht herausgefunden. Salmeik hatte aus Selbstschutz reagiert, den Läufer auf sie angesetzt und womöglich programmiert, Prills Erinnerungen zu löschen, vielleicht aber auch nur zu ergründen, was sie zu dieser Aktion inspiriert hatte – oder um dem Störenfried auf die Spur zu kommen, der in der Station sein Unwesen trieb. All dies war reine Spekulation. Prill selbst erinnerte sich nicht daran, warum die Maschine sie befallen hatte.
    »Wir brauchen Taschenlampen im Tunnel«, sagte sie. »Rita sollte zumindest eine besitzen.«
    Ich fand sie im Nachttisch. Sie funktionierte. Allerdings war in der gesamten Wohnung keine zweite aufzutreiben.
    »Eine Lampe reicht aus«, behauptete Prill.
     
    Wir benötigten für den Weg von Ritas Wohnung bis zum Speicherbecken kaum mehr als zwei Minuten. Prill lief voraus, ich in geringem Abstand hinterher. Ich ließ Prill einen Blick in die Gänge werfen, und sobald nichts Ungewöhnliches zu sehen war, hetzten wir weiter bis zur nächsten Ecke. So pirschten wir uns von Korridor zu Korridor vor. Den wenigen

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