Lord Garrows widerspenstige Braut
ich höre jemanden kommen. Hoffentlich ist das endlich der Doktor."
Ein großer dünner Mann mit einer schwarzen Tasche betrat das Zimmer. "Sie haben nach mir schicken lassen, Mylord?"
"Mein Schwiegersohn wurde von zwei Kugeln getroffen", erklärte der Earl dem Arzt. "Einmal am Kopf und dann hier ins Bein. Ich glaube, die Kugel sitzt noch immer im Oberschenkel."
Der Doktor musterte den Liegenden. "Zwei Pfund Sterling, egal, ob er überlebt. Einverstanden?" fragte er knapp.
"Er wird überleben. Wenn nicht, werden Sie mit den zwei Pfund nicht mehr viel anfangen können", erwiderte der Earl. Obwohl seine Stimme gefasst klang, war der Tonfall so drohend und grimmig, wie Susanna es noch nie erlebt hatte. "Wie heißen Sie, Sir?"
"McNally", sagte der hagere Arzt. Er wirkte überrascht. "Ich bin kein Chirurg", erklärte er. "Ich kann nicht garantieren …"
"Herrgott – dann gehen Sie mir aus den Augen! Auf der Stelle!" befahl der Earl wütend.
Der Arzt war schneller verschwunden, als Susanna es für möglich gehalten hätte. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie nun mit dem Verwundeten allein waren. Was sollten sie tun? Entsetzt sah sie ihren Vater an. Sie hatte das Gefühl, sich in einem Albtraum zu befinden. "Vater, bist du wahnsinnig geworden? James wird verbluten, wenn er nicht bald ärztlich behandelt wird!"
Ihr Vater packte sie am Ellenbogen. "Susanna, glaube mir, ich kann ihn retten. Aber ich brauche dazu deine Hilfe. Wenn dir übel ist, dann geh jetzt und übergib dich. Solltest du ohnmächtig werden, wenn wir mit ihm angefangen haben, werde ich dich schlagen, sobald du wieder zu dir gekommen bist."
"Wie bitte?" Sie machte einen Schritt zurück. Ja, Vater muss wahnsinnig geworden sein.
"Still. Hör mir gut zu", sagte er und zog das Taschenmesser heraus, das er immer bei sich trug. "Schick das Mädchen in die Küche. Sie soll kochendes Wasser bringen. Und eine große Flasche Whisky. Und bring mir dein Lockeneisen."
"Mein Lockeneisen?"
"Tu, was ich gesagt habe. Ich mache derweil Feuer."
"Ich könnte einen Diener beauftragen, einen Chirurgen …", wandte Susanna ein.
"Jetzt sind wir an der Reihe. Bis irgendjemand einen Chirurgen ausfindig gemacht hat, ist uns der arme Kerl wahrscheinlich schon gestorben. James' Bein blutet viel zu stark, und ich wage nicht, es abzubinden, bevor wir die Kugel herausbekommen haben. Jetzt geh schon! Spute dich!"
Prüfend blickte Susanna ihren Vater an. Er schien sich sehr sicher zu sein. Sie atmete tief durch. "Wie du meinst."
Eine Viertelstunde später war Susanna wieder zurück. Sie hatte sich die Zeit genommen, sich ein Hemd und einen Unterrock überzustreifen. Das Korsett zu schnüren wäre allerdings zu zeitaufwendig gewesen, weshalb sie sich nur einen Gürtel um die Taille geschlungen hatte. Als sie daran dachte, dass sie vor allen Leuten die ganze Zeit in ihrem Nachthemd herumgestanden hatte, wurde sie rot. Was musste ihr Vater von ihr denken! Sie sah ihm dabei zu, wie er Whisky über die Enden der Lockenzange goss und die Zange im Feuer erhitzte. Ein merkwürdiges Sammelsurium an Instrumenten lag in einer Metallschüssel mit kochendem Wasser über dem Feuer: Das kleine Taschenmesser, dass ihr Vater früher dazu benutzt hatte, kleine Holztiere für sie zu schnitzen, ihre Nähschere, Nähnadeln und schwarzer Seidenfaden. Die kleine Zange aus der Küche war wohl noch das sinnvollste Utensil.
"Wasch ihm bitte das geronnene Blut ab. Ich kann die Wundränder kaum erkennen", instruierte der Earl sie.
Susanna nahm eines der weichen Leinentücher, die das Mädchen gebracht hatte, tauchte es vorsichtig in das heiße Wasser, ließ es ein wenig auskühlen und wusch James das geronnene Blut vom Gesicht und von seinen Händen. Dann befeuchtete sie die Blutkruste vom … nein, sie wollte nicht daran denken, dass es das Bein des Schotten war. Für sie durfte es nur ein Körperteil sein, ein unbelebtes Etwas, kein Teil eines Menschen mit Gefühlen. Sie blickte nach oben. James lag bleich und mit geschlossenen Augen da. Ein Glück, dass er ohnmächtig ist, dachte sie. Er muss schreckliche Schmerzen haben. Aber würde er nicht aus seiner Ohnmacht erwachen, wenn ihr Vater mit seiner Operation begann?
"Meinst du nicht, er wird um sich schlagen, wenn du anfängst?" fragte sie zweifelnd, während sie vorsichtig das Blut rings um die Wundränder abtupfte.
"Hmmh. Wir sollten ein paar Diener bitten, ihn niederzuhalten. Aber je weniger Leute hier herumschwirren, desto besser. Außerdem
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